258
[289/290]
Erde auf das Leben, des Lebens auf den Geist ist eine Grund-
tatsache des Seins und gehört in Wahrheit mit zu den Grund-
zügen der Natur.
Von jeher wurde dieses Grauenhafte in der Natur emp-
funden. Es reicht tief in ihre Wurzeln hinab, es berührt die Ur-
natur. Wo aber Unvollkommenes und Widriges ist, dort kann
die Hoffnung auf Beseitigung des Widrigen und auf Wiederher-
stellung des Vollkommenen niemals schweigen. Uralte Weisheit
hegte diese Hoffnung. Von je verband sie mit dem Bewußtsein
der Zerrüttung der Natur stets auch die Lehre von ihrer L ä u - /
t e r u n g . Nicht erst das Christentum kennt den Begriff der
Naturreinigung und -erlösung, auch die alten naturnahen Reli-
gionen, die Religion Zarathustras, die Religion der Germanen
kennt die Vorstellung der Götterdämmerung, der endlichen
Weltenreinigung, des Gerichtes und erhofft es als geschichtliches
Ereignis. Das erhabenste Stück der Edda, die Völuspa, schildert
die Schau der geläuterten Natur:
„Wieder werden
Die wundersamen
Goldnen Tafeln
Im Gras sich finden,...
Unbesät werden
Äcker tragen;
Böses wird besser:
Balder kehrt heim.“
In solchen Vorstellungen mehr zu sehen als dichterische
Wunschträume, fällt dem neuzeitlichen Menschen so überaus
schwer. Denn sie setzen voraus, was ihm kaum erschwinglich ist:
einen lebendigen Naturbegriff und die Einsicht in die mittehafte
Stellung des Menschen in der Welt. Wer aber die Natur begreift,
indem er von ihrer sinnlichen Erscheinung auf ihre vorsinnliche
Wurzel zurückgeht, der erkennt auch die Hingeordnetheit dieses
Vorsinnlichen auf den G e i s t . Wer Urnatur begreift, vermag
auch zu ermessen, wie nahe ihr der Geist, bei aller Unterschied-
lichkeit, ist, wie sie zu ihm hinzustreben, er sie zu berühren ver-
mag. Nicht schon der äußerliche Umstand, daß der menschliche
Leib ein Auszug aller Naturkräfte ist, macht die mittehafte