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Stellung des Menschen begreiflich, erst die Erkenntnis, was Ur-

natur und was Geist sei, vollbringt es.

Zu jedem echten Idealismus gehört die Einsicht: Erkenne

dich selbst, damit du die Natur erkennst und das Enthaltensein

des Geistes wie der Natur im gemeinsamen Urgrunde.

Beides lehrt uns auch einer der Größten aller Zeiten,

M e i s t e r E c k e h a r t . Er, der von dem lebendigen Verhält-

nisse, welches noch das Mittelalter zur Natur hatte, durchdrungen

ist, sagt uns, wie das verborgene Wesen der Natur zuletzt nur

vom Menschen her zu verstehen sei und auf Gott hinlenke. /

Er sprach das gewaltige Wort: Gott ist dem Stein ebenso

nahe wie dem Menschen, aber der Stein weiß es nicht

1

. Jetzt

verstehen wir dieses Wort: die Natur gestaltet sich sinnlich, der

Geist fließt nicht ins Sinnliche aus, sondern nimmt sich selbst

innerlich, denkt sich selbst, weiß sich selbst. Meister Eckehart

erläutert es uns noch weiter: „In gote sint aller dinge bilde

gelîch; aber sie sint ungelîch der dinge bilde

2

.“ Das heißt,

in Gott sind alle Ideen gleich, wenn sie auch auf ungleiche

Weise Ideen, Urbilder, sind; daher: ungleicher Dinge Ideen sind.

Natur und Geist sind also ungleich, die Natur ist durch ein

Höheres, den Geist, auf Gott hingeordnet. Meister Eckehart

spricht: „Alle crêatûre hânt iren louf ûf ire hôheste volle-

komenheit

3

.“ „Jede Kreatur sucht ihre Stätte“, den Geist und

Gott. Und hier deutet Meister Eckehart den Weg der Läuterung

der Natur an: „wan wiltû den kernen haben, so muostû die schalen

brechen. Und also, wiltû die nâtâre blâz vinden, sô müezent diu

gelîchnüsse elliu zerbrechen, unde ie daz ez mê dar in tritet,

ie ez dem wesenne nêher ist.

4

„Wan got ist niht ein zerstoerer der nâtâre, mêr: er voilebringet

1

Meister Eckhart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Leipzig 1857 (seither

Neudrucke), S. 221, Zeile 9ff. und öfter.

2

Meister Eckhart, ebenda, S. 269, Zeile 13f.

3

„Alle Kreaturen haben ihren Lauf auf ihre höchste Vollkommenheit.”

Meister Eckhart, ebenda, S. 180, Zeile 12f.

4

„Willst du den Kern haben, so mußt du die Schale zerbrechen. Willst du

die Natur bloß [unverhüllt] finden, so mußt du [müssen] alle Gleichnisse zer-

brechen, und je mehr du sie zerbrichst [je weiter man eindringt], je näher ist

es dem [innersten] Wesen.” Meister Eckhart, ebenda, S. 333, Zeile 25ff.

5

„Gott ist nicht ein Zerstörer der Natur, sondern er vollbringet sie [viel-

mehr: er vollendet sie].” Meister Eckhart, ebenda, S. 18, Zeile 5f.