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zeß der Problematisation, in welchem es sich um Bedingungen, We-
sen und Grenzen der Erfahrung als solcher handelt, zugrunde
liegt. Im Wesen des soziologischen Problems liegt es also, die Recht-
fertigung seiner erkenntnistheoretischen Voraussetzungen — als: die
Voraussetzung psychischer Wechselbeziehungen von Individuen, die
absolute Existenz dieser in Raum und Zeit, ferner die methodische
Eigenart und Beschaffenheit der sozialen Erfahrung, der individuali-
stische oder universalistische Grundtypus der sozialen Ziele oder
Werte — anderen, davon getrennten Überlegungen, eben den er-
kenntnistheoretischen zu überlassen. Dieses Verhältnis der beiden
Problemsetzungen besagt aber, daß bei jeder Erörterung der Bezie-
hung zwischen den beiden Diszizplinen das aufgezeigte Verhältnis des
Besonderen zum Allgemeineren, beziehungsweise überhaupt ein Ver-
hältnis weitgehender Verschiedenheiten v o r a u s g e s e t z t wird,
so daß es ein Widerspruch wäre, auf d i e s e r Grundlage ein ent-
gegengesetztes Verhältnis erweisen zu wollen. Eine etwaige Berufung
Diltheys auf seine Absicht, statt des bloßen logischen Denkzusam-
menhanges stets den g a n z e n Menschen, den ungeteilten Lebens-
zusammenhang zur Grundlage der Untersuchung zu nehmen, wes-
halb die bisherige Erkenntnistheorie als bloß „intellektualistisch“
keine gültige Instanz bilden könne, würde ja allerdings dadurch, daß
sie sozusagen einen andern Begriff von Erkenntnistheorie einführt,
Gewicht haben. Immerhin reicht sie in diesem Zusammenhange for-
maler, methodologischer Betrachtung nicht an das angezogene Ver-
hältnis von Erkenntnistheorie und Sozialwissenschaft heran. Denn
jene Absicht verändert das erkenntnistheoretische Problem nicht
g r u n d s ä t z l i c h und berührt sonach auch nicht das oben be-
trachtete, alle formale Beweisführung verunmöglichende Verhältnis
der Problematisationsprozesse und Probleme selbst. Tatsächlich ist
auch der b i s h e r i g e Anspruch der Erkenntnistheorie der, Theorie
der a l l g e m e i n e n E r f a h r u n g zu sein. Ob sie ihn auch tat-
sächlich erfüllt hat, kann das Verhältnis der beiden Probleme grund-
sätzlich nicht mehr betreffen.
Ist sonach eine von den Begriffen der P r o b l e m e ausgehende
formale Beweisführung für die Notwendigkeit, die Soziologie in So-
zialwissenschafts-Erkenntnistheorie umzuwandeln, der Natur der
Sache nach unmöglich, so verbleibt für Dilthey noch immer ein Aus-
weg: die T a t . Denn seine Forderung ist formaler, methodologi-