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konkret bestimmen. Das liegt schon im Begriffe der Rückverbun-
denheit überhaupt. Denn das Enthaltensein in einem befassenden,
übermächtigen Geiste muß das Befaßte in allen seinen Lebensadern
ergreifen. Allerdings ist dazu auch die gliedhafte F r e i h e i t des
Befaßten, des menschlichen Geistes selbst, notwendig.
Es ist besonders Schellings Verdienst, auf das Reale im Verhältnis
des Menschen zu Gott hingewiesen zu haben, welches in der Reli-
gion beschlossen liegt. Ein bloß abstraktes Verhältnis wäre P h i -
l o s o p h i e . Erst das leibhaftige, bestimmte Verhältnis ist Reli-
gion, die dann, wie wir sagen müssen, zur ehernen und unüberwind-
lichen L e b e n s m a c h t wird. Hiermit ist der Unterschied von
Philosophie und Religion gekennzeichnet. Es ist der Unterschied
des Abstrakten und Konkreten. Auch Philosophie durchdringt das
reale Leben und ist Lebensmacht, aber sie bleibt abstrakt und ge-
staltet sich nicht zu bestimmten Diensten der Gottesverehrung und
deren bestimmten Pflichten wie die Religion. /
B.
V o r r a n g d e s G l a u b e n s
Alle angegebenen Merkmale der Religion bilden ein Ganzes, aber
in einem Ganzen sind die Teile g e g l i e d e r t und darum nicht
gleichwertig; es bestehen vielmehr Vorränge, wie z. B. Herz und
kleiner Finger im Organismus oder tragender Systemgedanke und
Akzidentien im Begriffsgebäude nicht denselben Rang, nicht dieselbe
Bedeutung im Gesamtganzen haben. Da bedarf es nun keiner be-
sonderen Begründung, welchem der Merkmale der Religion der
Vorrang zukommt: den Vorrang hat das Bewußtsein des Rückver-
bundenseins an sich, welches den Glanz des Übersinnlichen in unser
Herz strahlt, das, was wir Glaube, Gottinnigkeit, Andacht, Ahnung,
Frömmigkeit nennen. Daher zeigte sich uns der Glaube als ein Ur-
sprüngliches, Arteigenes, das von keinem anderen Element des Be-
wußtseins ableitbar ist.
Andererseits folgt gerade aus seiner Vorrangstellung, daß der
Glaube stets mit a l l e n anderen — sei es ebenfalls ursprünglichen,
sei es abgeleiteten — Elementen des Bewußtseins verbunden sein
müsse (wie sich das ja schon ergab): mit Liebe, Erkenntnis, Gestal-
tung und mit der Sittlichkeit, dem Gewissen, das heißt dem gesam-
ten Wollen und Wirken. Da damit nun aber die ganze menschliche