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So z. B. sehen wir in der altindischen, ebenso wie in der griechischen

oder christlichen Religionsgeschichte stets nur persönliche Gotthei-

ten, in derselben Philosophiegeschichte aber zuweilen pantheistische,

unpersönliche Gottesbegriffe auftreten. Gegen die von Arthur

Schopenhauer und seinem Anhänger Paul Deussen verbreitete pan-

theistische Auslegung der altindischen Upanischaden z. B. muß man

sagen, daß in Wahrheit diese fast durchwegs das Brahman persön-

lich auffassen — sie gehören ja noch zur Religion, zur Religion auf

polytheistischem Grund! Der Polytheismus aber verpersönlicht alles

mit elementarer Notwendigkeit. Auch nehmen die Upanischaden

eine persönliche Fortdauer im Brahman an, die übrigens durch die

Seelenwanderungslehre ohnehin praktisch verbürgt wird.

All dieses bedacht, verstehen wir auch, was die Religionsgeschichte

und Völkerkunde überall zeigt: daß stets alle aus der Rückverbun-

denheit als wesentlich sich ergebenden Merkmale sämtlichen Reli-

gionen tatsächlich zukommen. Ohne Ergriffensein von dem Über-

mächtigen, ohne Glaube als Gefühl und Leben, ohne Liebe, ohne

Erkenntnis, ohne sittliche Verpflichtung, ohne äußeres Gesetz und

praktisches Wirken und persönliche Gottheit finden wir selbst die

niedersten Formen der Religion nicht: weder die dämonisch-fetischi-

stischen, noch die höheren polytheistischen Religionen, auch der nie-

deren Völker, z. B. der Pygmäen, zeigen nur eines oder nur einige

jener Merkmale für sich allein. Sie / alle haben eine Lehre oder hei-

lige Sage, haben Gebote, fordern Werke, kennen mystische Anteil-

nahme am göttlichen Leben, Gefühl und Liebe. Wohl kann eines

dieser Elemente entarteterweise ungebührlich zurückgebildet oder

überbildet sein, wie auch ein gesunder Organismus krank werden

kann; aber der Ursprung der Religion aus dem Rückverbunden-

heitsbewußtsein macht es unmöglich, daß geschichtlich je eines allein

vorkomme. In der Gesetzesreligion des Judentums z. B. mag das

Äußerlich-Gesetzliche noch so eindeutig hervortreten, ohne jede In-

nerlichkeit des Glaubens, ohne Liebe, ohne jede Mystik, Erkennt-

nis, Teilnahme am göttlichen Leben usw. finden wir sie nicht und

könnte sie als Religion weder entstehen noch bestehen. Und das-

selbe gilt dort, wo Menschenopfer, Menschenfresserei, Tier- und

Steindienste die Religion verunstalten.

Gehören nun alle genannten Elemente ihrem Wesen nach zu-

sammen, so verstehen wir auch die bemerkenswerte geschichtliche