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drückt wird. An sich selbst genommen ist Gottinnigkeit, Glaube et-
was Dunkles, Unaussprechliches. „Zum Begriffe und Wesen des
Glaubens gehört das Dunkle“, sagte Bernhard von Clairvaux
1
. In
allen anderen Geistesinhalten gebiert, verwirklicht, vollendet sich
erst der Glaube.
Daher gilt:
Glaube ohne Liebe ist tot; Glaube ohne Erkenntnis ist blind;
Glaube ohne Gestaltung ist unwirklich; Glaube ohne Wollen und
Wirken ist unfruchtbar.
All dieses kann nur in einem bestimmten, einem p e r s ö n -
l i c h e n Verhältnis zum Rückverbindenden stattfinden. Erst die-
ses konkret bestimmte Verhältnis ist Religion, das andere, nur vom
Erkennen aus bestimmte, ist Philosophie.
C.
B e w ä h r u n g i n d e r R e l i g i o n s g e s c h i c h t e
Unser Begriff der Religion aus der Rückverbundenheit bewahr-
heitet sich an der Religionsgeschichte. /
Da ist zuerst die Ursprünglichkeit, Nichtabgeleitetheit des über-
sinnlichen Bewußtseins im Verhältnis zu anderen Bewußtseinsele-
menten nochmals hervorzuheben. Glaube, Gottinnigkeit, das Innere
der Religiosität, oder wie man sonst das übersinnliche Bewußtsein
nennen möge, sehen wir in der Religionsgeschichte nicht aus Lehre,
aus „Vorstellung“, „Gefühl“, „Wille" als den angeblich allein letzten
Bewußtseinselementen herkommen. Vielmehr zeigt die Geschichte
bei der Gründung von Religionen oder Sekten stets eine „Er-
weckung“ : O h n e d i e U r s p r ü n g l i c h k e i t d e s B e -
w u ß t s e i n s e i n e s Ü b e r s i n n l i c h e n z u e r k e n n e n ,
i s t k e i n e R e l i g i o n s g e s c h i c h t s s c h r e i b u n g m ö g -
l i c h . Es ist ein Grundirrtum der naturalistischen Religions-
geschichtsforschung seit H o b b e s , J o h n L o c k e , H u m e ,
A u g u s t e C o m t e , L u d w i g F e u e r b a c h , H e r b e r t
S p e n c e r und der an ihnen ausgerichteten verschiedenen philo-
sophischen, „mythologischen“ und religionssoziologischen Schulen
von heute, ein Irrtum, dem schon Schelling und Hegel entgegen-
traten: die gesamten Mythologien aus sinnlichen Ursachen und Trie-
1
Angeführt in: Meister der Politik, herausgegeben von Erich Mareks und
Karl Alexander Müller, Bd 3, Stuttgart 1923, S. 189.