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den positivistischen Schulen seit H o b b e s , H u m e , E r n e s t
R e n a n , F e u e r b a c h , S p e n c e r , W i l h e l m W u n d t die
Religion bedingen, gehen zurück auf Eindrücke aus der Sinnlich-
keit, nämlich: Furcht und Hoffnung
1
; Traumerfahrung (z. B. Be-
gegnung mit Verstorbenen im Traume)
2
; Glückseligkeitstrieb und
paradiesische Wunschträume (Illusionstheorie)
3
, kluge Erfindung zur
Leitung der Menge
4
; primitive Ursachenerklärung, die z. B. den
Donner einem starken Mann zuschreibt, welcher donnert, oder die
Dürre einem mächtigen Wesen, welches in der Sonne, in den Ge-
stirnen wirkt; ähnlich der sogenannte „Euhemerismus“, wonach
die Götter menschliche Personen ge- / wesen seien, die sich den gött-
lichen Namen beilegten (nach Euhemeros, um 300 v. Chr., die
Lehre ist aber viel älter).
Alle diese und ähnliche Theorien verfehlen ihr Ziel, die Religion
zu erklären, von Grund auf. Sie merken nicht, daß sie sich in einem
logischen Zirkel bewegen: Das Übernatürliche, Übersinnliche,
Göttliche, das, was von anderer Art ist als alles sinnlich Erfahrene,
setzen sie als inneres Wissen im Menschen schon voraus, statt es
zu erklären! Furcht, Wunsch, Ursachenerklärung, kluge Erfindung
zur Lenkung der Menge, Verehrung Verstorbener und insbesondere
verstorbener großer Menschen — sie alle bleiben ja stets im Bereich
des S i n n l i c h e n , woher aber das U b e r sinnliche? Das ist die
Frage!
Alle die genannten sinnlichen Bedingungen der Religion bestehen
und sind auch tatsächlich von Einfluß auf sie, aber sie können
grundsätzlich nur nachträgliche, nur abwandelnde Bedeutung haben
— nachdem das Übersinnliche schon in den Geist des Menschen ge-
kommen war, nachdem das Religiöse vom Bewußtsein schon Besitz
1
Schon Epikur und Lukrez sagten, die F u r c h t habe die Götter erfunden,
als der Blitz steil vom Himmel fuhr. „Primus in orbe deos fecit timor, ardua
coelo fulmina dum caderent.“ (Lucretius: De rerum natura, 6, 50). Aus Furcht
und Hoffnung leitet auch die moderne Religionssoziologie die Religion ab, siehe
unten S. 29.
2
So unter anderen Herbert Spencer und Erwin Rohde: Psyche, Seelenkult
und Unsterblichkeitsglaube der Griechen, 7. und 8. Aufl., Tübingen 1921.
3
Ludwig Feuerbach: Vorlesungen über das Wesen der Religion, Leipzig 1851.
„Hätte der Mensch keine Wünsche, so hätte er trotz Phantasie und Gefühl keine
Religion.“
4
So schon die griechischen Sophisten, neuerdings unter anderen der Philologe
Otto Gruppe.