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Unseren bisherigen Nachweisen haben wir nunmehr eine Dar-

stellung des Gotteserlebnisses der Mystiker selbst hinzuzufügen. /

Es ist bei dem großen Stoff, welchen die Religionsgeschichte im

letzten Jahrhundert anhäufte, außer allem Zweifel, daß das mysti-

sche Gotteserlebnis im letzten Grund überall und zu allen Zeiten

dasselbe war; obgleich es allerdings mit Hilfe der verschiedenen,

jeweils gegebenen religiösen Vorstellungen und der verschiedenen

Mittel, welche die geschichtlichen Kulturen durch Wissenschaft,

Kunst, Gemeinschaft dem Mystiker darbieten, verschieden ausge-

wertet wurde. Das mystische Gotteserlebnis ist — gewaltsam herbei-

geführte, krankhafte Ekstasen abgerechnet — stets ursprünglich.

Daher kann man hier nicht eigentlich von „Beeinflussungen“ spre-

chen. Bei dem Suchen nach Einflüssen verkennt man, wie sehr

gerade auf diesem Gebiet das eigene Erlebnis und nur dieses maß-

gebend ist. Zu solchen Erlebnissen können von anderer Seite aber

nur Vorbedingungen ausgehen, ähnlich wie man jemandem wohl

Rot zeigen kann, aber sehen, empfinden er es selbst muß; dem

Blinden ist es nicht zu erklären. Erst in den theoretischen D e u -

t u n g e n und praktischen A n w e n d u n g e n können und müs-

sen die Verschiedenheiten der Gemeinschaft, Wissenschaft, Kunst

und Geschichte der Mystik eine große Rolle spielen.

Im folgenden werden wir zwar Nachweise aus allen Religionen

bringen, am meisten aber bei demjenigen Kronzeugen verweilen,

welcher am lebendigsten und einleuchtendsten zum heutigen Men-

schen zu sprechen vermag, bei Meister Eckehart. Nächst ihm wird

die altindische Mystik klassische Zeugnisse liefern.

A.

P 1 o t i n

Vorerst nur ein kurzes Wort über die neuplatonische Mystik,

weil sie später auf die europäische Mystik nach der theoretischen

Seite hin nachwirkte. Ihr Haupt ist P 1 o t i n (

296 n. Chr.). Wie

sein Schüler Porphyrius berichtet, gelangte er viermal in seinem

Leben zur unio mystica. Er selbst deutet darauf hin:

„Öfters erwachte ich zu mir selbst aus dem Körper . . . Dann war ich außer-

halb alles anderen und innerhalb meiner selbst, schaute eine Schönheit von

wunderbarer Größe, war überzeugt, daß ich jetzt den besten Teil ergriffen hatte,

das höchste Leben verwirklichte und mit dem Göttlichen eins geworden war."

Ferner: „Bist du selbst so (nämlich vollkommen) geworden . .. ganz und gar

reines, wahres Licht, nicht durch Größe gemessen, nicht durch Gestalt / umzirkt