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Diesen persönlichen, in das Geheimnisvolle der inneren Erfahrung

einführenden Zeugnissen mögen nunmehr religionsgeschichtliche

folgen, wobei wir uns allerdings auf das Nötigste beschränken

müssen.

C. Ä g y p t i s c h e M y s t i k

Sie wird von den Alten höchlich gerühmt, jedoch liegen bis jetzt,

wenigstens unter den übersetzten und mir zugänglichen Texten,

keine vor, welche die höchsten mystischen Zustände unmittelbar

schildern. Dagegen haben wir gewichtige mittelbare Zeugnisse für

die mystische Urgrundlage der im übrigen durch niedrige Magie

und Totemismus zum Teil grauenvoll verwilderten ägyptischen

Religion.

Wenn z. B. der Oberpriester von Heliopolis der „Große des

Schauens“ hieß (Adolf Erman), so deutet das gewiß nicht auf sein

astronomisches Amt, wie man meinte, sondern auf ekstatisches

Schauen. Ist ja doch das Wesentliche der Astronomie — zumal ohne

Fernrohr — nicht das sinnliche Schauen, sondern das Berechnen

und das denkende, vergleichende Beobachten. Der Astronom könnte

daher schwerlich Schauer heißen.

Kurt Sethe und Erman und Hermann Junker, welche die

„memphitische Theologie“ erschlossen, berichten über deren Haupt-

stück, die Schöpfertätigkeit des Ptah-Atum, das ist des höchsten

Gottes, P t a h , durch seine Manifestation A t u m , folgender-

maßen:

„Die Zunge (des Ptah-Atum) hat alles durch ihr Wort erschaffen.. . Auch die

Gesetze hat sie gegeben, denn sie gab dem Friedfertigen das Leben und dem Ver-

brecher den Tod. Auch alle Künste sind durch sie entstanden . . „Und Ptah war

zufrieden, nachdem er so alle Dinge . . . geschaffen hatte.“

1

Erman behandelt dies freilich nur als Sonderbarkeit, wie er denn,

überhaupt die Religion recht äußerlich auf faßt; er weiß nicht, daß

damit die m y s t i s c h e G r u n d l a g e der von ihm in geist-

voller Sprachforscherarbeit erschlossenen memphitischen Priester-

weisheit zutage kam. Denn die mystischen Übungen bestehen eben

darin, alle Organe des Leibes „sprechen“ zu lassen, wodurch ekstati-

sche und damit zugleich schöpferische Zustände herbeigeführt wer-

den. Analog symbolisiert hier der ägyptische Mystiker auch die

1

Adolf Erman: Die Religion der Ägypter, Ihr Werden und Vergehen in vier

Jahrtausenden, Berlin und Leipzig 1934, S. 92.