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A n g e l u s S i l e s i u s sagt im „Cherubinischen Wandersmann“:
„Sobald durch Gottes Feu’r ich mag geschmelzet sein,
So drückt mir Gott alsbald sein eigen Wesen ein.
Gott ist in mir das Feuer, und ich in ihm der Schein:
Sind wir einander nicht ganz inniglich gemein?
/
Gott ist voller Sonnen.
Weil der gerechte Mensch glänzt wie der Sonnenschein,
So wird nach dieser Zeit Gott voller Sonnen sein.“
V.
Der Beitrag der Mystik zur Ausgestaltung der Religion
Nach den Zeugnissen aus der Mystik kehren wir nunmehr zu
den früher überblickten religiösen Kategorien zurück. Sie gehören
der mystischen Erfahrung an.
A. U r s p r ü n g l i c h e r e l i g i ö s e K a t e g o r i e n a u s
d e r M y s t i k
1. Das Gottesbewußtsein
Unser Gang durch die Mystik bestätigt von selbst unsere eingangs
entwickelte Grundthese: Ohne innere mystische Erfahrung wäre
der Mensch niemals zum Gottesglauben gelangt. In ihr liegt die
letzte Quelle des Gottesbewußtseins und nur in ihr.
Diesen Satz erachten wir als grundlegend für alle Religions-
philosophie und alle Religionsgeschichte. Denn die Urfrage der
Religionsgeschichte wie der Religionsphilosophie bleibt immer:
Woher kam dem Menschen das Bewußtsein davon, daß es ein
Übersinnliches, Göttliches, welches von ganz anderer Art ist als
alles Natürliche, Sinnliche, gebe? Und darauf gibt es nur die Ant-
wort: Einzig und allein aus der inneren Erfahrung, und diese
ist die mystische. Denn es zeigte sich ja schon früher
1
: die sinnliche
Erfahrung, wie sie in Furcht, Wunsch, Traum, Ursachenerklärung
und ähnlichem zur Geltung kommt, kann nie über das Sinnliche
hinausgehen. Sie müßte sich selbst überspringen, um ins Übersinn-
liche zu führen. Sie kann daher lediglich dort Bedeutung erlangen,
wo das Gottesbewußtsein als innerer Besitz des menschlichen Geistes
bereits vorhanden ist.
1
Vgl. oben S. 21 f. und 25 f.