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praktischen Teil seiner Frömmigkeit beweist daher nichts gegen das
Vorhandensein eines echt mystischen Kernes.
Es gibt aber auch noch andere Möglichkeiten, aus tiefster Mystik
her den Menschen zu sittlicher und sogar politischer Selbständigkeit
aufzurufen, wie das Zarathustra tat: das lehrt uns das Beispiel der
durchaus ethisch gerichteten Mystik J o h a n n e s T a u l e r s , frü-
her schon des heiligen B e r n h a r d v o n C l a i r v a u x , ferner der
heiligen K a t h a r i n a v o n S i e n a mit ihrer praktischen geschicht-
lich / bedeutsam gewordenen Wirksamkeit. — Ein noch anderes
Beispiel bildet der von G e o r g e F o x begründete Bund der
Q u ä k e r , dessen beherrschender Grundsatz die praktische Tat der
Menschenliebe ist. Allerdings ist der Ausgangspunkt hier nicht von
gleicher Tiefe wie bei jenen großen Mystikern.
F.
M o h a m m e d a n i s c h e M y s t i k
Ein lehrreiches Zeugnis aus der mohammedanischen Welt bietet
die Selbstbiographie G h a z a l i s, geschrieben bald nach 1107
n. Chr. Abu Hamid Ghazali wandte sich nach schmerzlichen reli-
giösen Zweifeln der Mystik des S u f i s m u s zu.
Die erste Bedingung der mystischen Ekstase ist ihm die Reinigung: „Das Herz
muß ganz von dem gereinigt werden, was Gott fremd ist“
1
. — Genau dasselbe
sagt Meister Eckehart, indem er fordert, die Seele leer zu machen von allen
irdischen Dingen: soll Gott eingehen, muß die Kreatur ausgehen. — Nun die
zweite Stufe bei Ghazali: „Am Anfang des Weges beginnen die Offenbarungen,
daß sie in ihren Nachtwachen die Engel und die Seelen der Propheten wahr-
nehmen ...“, das heißt Visionen haben
2
. Genauso betrachtet Meister Eckehart
die visionären Zustände noch nicht als mystische Erfahrung. Ghazali fährt fort:
Darauf erhebt sich die (mystische) Ekstase über die Wahrnehmung von For-
men und Bildern (das heißt über die Visionen) bis zu jenen Graden, denen die
Möglichkeit der Darstellung gebricht. „Kein Mensch darf danach trachten, es
zu erklären, ohne daß sein Wort schwere Sünde in sich schließt... Kurz: Die
Sache ist bis zu dem Punkte gelangt, wo sich manche von ihnen einbilden, das
sei Verschmelzung ( h u l u l) andere: Ineinssetzung ( i t t i h a d ) , wieder andere:
Vereinigung (w u s u l). Aber das ist Sünde ... Wer davon nicht etwas kostet,
der kennt vom wahren Wesen der Prophetie (mystischen Ekstase) nur den
Namen“
3
.
1
Heinrich Frick: Ghazalis Selbstbiographie, Ein Vergleich mit Augustins
Konfessionen, Leipzig 1919, S. 36.
2
Heinrich Frick: Ghazalis Selbstbiographie, S. 37.
3
Heinrich Frick: Ghazalis Selbstbiographie, S. 37 ff.