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Und nicht nur die natürlichen Ursachen scheiden als ursprüng-
liche aus, auch die innere magische Erfahrung scheidet aus und sogar
die besondere Offenbarung.
Eine innere magische Erfahrung zwar gibt es neben der bloß
natürlich-sinnlichen ebenfalls (wie später noch zu erweisen), und /
sie schließt durch die innere Verbindung mit den Zentren der Natur,
in welcher sie besteht, bereits etwas in sich, was über das gewöhn-
liche Sinnliche hinausgeht; wie uns ja auch Suggestion, Hypnose,
Somnambulismus, Telepathie, Fernwirkung lehren, daß der äußer-
liche, gewohnte Naturlauf dabei nicht allein entscheide, sondern
auch Gesetze einer anderen, höheren Schicht desselben in Frage
kommen. Daher kann man wohl zugeben, daß die magische Er-
fahrung ebenfalls die Erfahrung eines Übernatürlichen in sich
schließe. Allein völlig über sich selbst hinausgehoben, in die wahr-
haft göttliche Seinsebene versetzt, empfindet sich der Mensch dabei
nicht. Der Geist reicht hier noch nicht bis zur höchsten Gottheit
hinauf, die über Welten thront; er läßt die Welt dabei nicht gänz-
lich hinter sich.
Beruft man sich aber auf die Offenbarung, so verneinen wir diese
keineswegs. Sie wirkt im Menschen, und sie wirkt auch durch be-
sondere Veranstaltungen in der Religionsgeschichte
1
. Jedoch ver-
mittelt sie das Gottesbewußtsein nicht durch eine äußere Kund-
gebung, sondern, i n d e m s i e d e n M e n s c h e n i n n e r l i c h
ü b e r i h n s e l b s t h i n a u s h e b t . Und gerade das geschieht
ausschließlich in Form der mystischen Erfahrung. Die Offenbarung
wirkt, aber sie wirkt nur im Rahmen mystisch-ekstatischer Zu-
stände.
Der brennende Dornbusch ist kein Sinneseindruck, sondern ein
nachträgliches Sinnbild erlebter Ekstase.
Hieraus ergibt sich für die Religionsgeschichte und das religiöse
Leben der Völker als erste wichtige Folgerung: Nur die wenigen
Menschen, denen mystische Erfahrungen zuteil werden, sind ur-
s p r ü n g l i c h e Träger des Gottesbewußtseins. Alle anderen wer-
den erst durch sie entweder zur echten Nachempfindung angeregt
oder zu einer mehr oder weniger aufrichtigen äußerlichen Nachfolge
veranlaßt. Die große Menge dagegen hat stets nur sehr schwache,
1
Worüber später mehr.