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den Vögeln preisgegeben werden —, kann wohl nur auf mystische
Prämissen zurückgeführt werden. Gewiß kann, wie uns der gleiche
Glaube noch im h e u t i g e n T i b e t nahelegt, er vielleicht einer
Zeit vor Zarathustra angehören; und vor allem liegt er nicht im
Bereich unmittelbarer mystischer Erfahrung — aber wohl im Bereich
ihrer Schlußfolgerungen. Denn nur eine mystische Ansicht vom
Wesen des Feuers und der Elemente überhaupt als überirdischen
Ursprungs, als Ableitungen des mystisch / erfahrenen Lichtes, die
dann auf die Erde und die anderen Elemente übertragen wurde,
kann zu der Meinung verleiten, das Feuer und die anderen Elemente
würden durch den toten Leib befleckt.
Die gesamte Lehre Zarathustras nahm eine vorwiegend ethische
Prägung an. Wie und warum dies zuging, folgt zum Teil aus dem
Charakter jeder R e f o r m a t i o n , welche, da sie die mystischen
Geheimnisse nicht gemein machen kann, umso mehr auf das Sitt-
liche hindrängen muß; es entzieht sich aber im übrigen unseren
geschichtlichen Kenntnissen. Sonst ist der Mystik das Böse ein Nicht-
sein, ein Mangel, über den sie hinwegzugehen sucht. Bei Zarathustra
steht aber der Gegensatz des Guten und Bösen im Mittelpunkt der
praktischen Religion.
Das Beispiel eines solchen Überganges von der reinen Mystik
zur sittlich gerichteten Mystik bietet uns der große Mystiker Jakob
B ö h m e : Es ist der Umweg über die Natur. Wird die Natur selbst
als eine Darstellung Gottes betrachtet und im mystischen Licht
gesehen, dann kann die Materie als das Gottfremde und schließlich
das Böse nicht mehr einfach übergangen werden. Und so begegnen
wir denn auch in der Lehre Zarathustras tatsächlich einer gewaltigen
N a t u r m y s t i k , welche sich sichtbar vor allem in der ange-
deuteten Lehre äußert, daß die Elemente nicht verunreinigt werden
dürfen, weder die Erde noch das Feuer; daher auch, wie berührt,
der menschliche Leichnam weder bestattet noch verbrannt werden
darf (er wird heute in den „Türmen des Schweigens“ den Vögeln
des Himmels preisgegeben).
Wenn auch die Naturmystik (welche nur wesenswidrigerweise
in Pantheismus absinken kann) mehr zu den Außenwerken höch-
ster Mystik gehört, da diese ihr Zentrum im Verhältnis von Gott
und Seele selbst hat, so kann sie doch ihr Bestandteil sein. Und die
naturphilosophisch-ethische Ausprägung der Lehre Zarathustras im
6 Spann, Religionsphilosophie