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wird“
1
. Dies darf aber unseres Erachtens nicht rationalistisch erklärt
werden. Denn woher kommt der Religionsstifter in jener alten Zeit
des überwuchernden Polytheismus zu so hohen Gottesgedanken?
Nur mystische Erfahrung konnte ihn dazu befähigen!
Wenn Hertel daraus folgert, Zarathustras Lehre sei „nicht auf
Glauben und auf das Gefühl, sondern auf den Verstand gegründet“,
so übersieht er allerdings den mystischen Charakter schon allein des
„leuchtenden Denkens“, auf dessen Grund ja, auch nach Hertel
selbst, der Verstand, mazdah, erst wirken kann. Und / wenn nach
Hertel „Ahura Mazdah“ nicht wie bisher als „Der weise Herr“,
sondern als „ H e r r s c h e r V e r s t a n d “ oder „ V e r n u n f t “
als Spender der Erleuchtung zu übersetzen ist, so ist es ein my-
s t i s c h z u v e r s t e h e n d e r Verstand oder Geist, der als
höchste Macht die Welt durch „leuchtendes Denken“, (wie es die
Erkenntnis in mystischer Ekstase darstellt) regiert
2
.
Auch die A b s c h a f f u n g d e r b l u t i g e n O p f e r und
die T i e r 1 i e b e in der Religion Zarathustras stimmen mit der
mystischen Grundhaltung überein; ebenso die G e s c h ö p f e s -
l i e b e u n d M e n s c h e n l i e b e . Die Abschaffung der blutigen
Opfer findet sich stets im Gefolge der Mystik und ist bekanntlich
ein Grundzug der gesamten Reformation Zarathustras.
Geschöpfesliebe: Yasna 29, 1: „Auch klagte die Seele des Stieres: Für wen habt
ihr mich gestaltet? Wer hat mich geschaffen? Raserei bedrückt mich und Gewalt-
tat und Mißhandlung und Roheit. Ich habe keinen anderen Hirten als euch...“
Menschenliebe: Der Gatte der Tochter Zarathustras sagt: „Ich will sie mit
Inbrunst lieben, daß sie fromm dem Vater diene und dem Gatten, den Bauern
und dem Adel, die Gläubigen den Gläubigen . . .“
3
.
Auf yogaartige Anforderungen an das Priesterleben, also my-
s t i s c h e Ü b u n g e n , scheinen mir folgende, allerdings späterer
Zeit angehörige, aber vielleicht auf Früheres zurückweisende Worte
zu deuten:
( F a r g a r d 18, 5) „Wer die ganze Nacht hindurch schläft, ohne zu opfern,
zu singen, zu rezitieren, Werke zu tun, ohne zu lernen oder zu lehren.. ., der
nennt sich mit Unrecht einen A t h r a v a n (Priester, Feuerpriester) . . .“
4
.
Auch der parsische Glaube, daß sowohl durch die Verbrennung
der Toten das Feuer, wie durch ihre Bestattung die Erde befleckt
werde — weshalb bekanntlich die Leichen nicht begraben, sondern
1
Johannes Hertel: Die arische Feuerlehre, 1. Teil, S. 96 f.
- Vgl. Johannes Hertel: Die arische Feuerlehre, Teil 1, Leipzig 1925, S. 145 f
3
Angeführt bei Nathan Söderblom, a. a. O., S. 165.
4
Eduard Lehmann: Textbuch zur Religionsgeschichte, Leipzig 1912, S. 282.