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kann so gedeutet werden, daß die Seele nach dem Tod n a t u r -
1 o s sei. Dann tritt die Vorstellung des H a d e s , der Schattenwelt,
in den Vordergrund, wie es uns plastisch und drastisch in der
Odyssee entgegentritt
1
. Das gegenteilige Extrem finden wir bei den
Indianern, welche die Seele nach Art einer höheren Naturverbun-
denheit in die „ewigen Jagdgründe“ eingehen lassen.
Die germanische Vorstellung des toten Helden als des Einheriers,
des G o t t e s s t r e i t e r s , in Walhall verbindet das Sittliche mit
dem naturfreudigen Element. Den Begriff des Gottesstreitertums
finden wir auch in der brahmanischen Religion
2
, ganz besonders
aber in der Zarathustra-Religion ausgebildet.
Durch Rückgang auf die mystische Erfahrung und deren ver-
schiedene begriffliche Deutungen lassen sich demnach die schein-
bar widersprechendsten Elemente der religiösen Vorstellungen vom
Zustand nach dem Tod erklären: aus der ekstatisch / erfahrenen
Gottverwandtschaft der Seele folgt die V e r g o t t u n g ; aus der
Seligkeit der Ekstase die G o t t s e l i g k e i t u n d G o t t i n n i g -
k e i t ihres jenseitigen Zustandes, das E l y s i u m ; aus ihrer Natur-
überhöhung in der Ekstase kann die Vorstellung eines mehr
s c h a t t e n h a f t e n Zustandes oder aber der Verbundenheit mit
einer h ö h e r e n N a t u r f o l g e n ; aus der Gültigkeit sittlicher
Gebote und dem Gottesstreitertum auf Erden endlich das T o t en-
ge r i c h t und zum Teil auch die Fortdauer des G o t t e s s t r e i -
t e r t u m s im Jenseits.
Freilich werden alle diese Elemente durch Phantasie und Fabelei
bei wechselndem Bildungsstand der Völker noch verschieden ent-
wickelt.
Zusatz über den Ahnendienst
Am deutlichsten lassen sich die im Ahnendienst entstehenden
Verhältnisse an der a l t c h i n e s i s c h e n Religion studieren, da
diese in besonders großem Maß Ahnenreligion ist. So zum Beispiel
lesen wir im Li-Gi von den alten Königen, welche „Himmelssöhne“
waren (wie auch noch die letzten Kaiser), eine Stelle, die uns die
1
Allerdings heißt es auch dort XI, 602 ff., sein Eidolon, „er selber im Kreise
der unsterblichen Götter", freut sich der Fülle.
2
Siehe z. B. Kalidasas „Urvasi“ und „Sakuntala“.