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Die in der Religionsgeschichte beurkundete transzendente Ge-
schichte ist auch der letzte wahre Hintergrund der Weltgeschichte.
Denn Religion hat den Vorrang vor allen anderen Inhalten der
Gesellschaft und der Geschichte.
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Gerade diese Transzendenz lehrt uns aber auch das Geheimnis
achten, warum jene Offenbarungen, welche die Religionen begrün-
den, gerade zu jenen Zeitpunkten auftreten, in denen wir sie in der
Geschichte sehen, und nicht in anderen. „Der Wind bläst, wo er
will“. Auf dieses Geheimnis scheint schon Plutarch hinzudeuten,
wenn er im Eingang seiner Schrift über Isis und Osiris (c. 1) sagt:
„Der Mensch vermag nichts Größeres zu empfangen und die Gott-
heit nichts Höheres zu verleihen als die Wahrheit; zwar spendet
sie dem Menschen auch andere Dinge, deren er bedarf, die Wahrheit
aber als das ihr selber teure Gut.“
VII.
Corollarium.
Von den Wegen innerer Offenbarung.
Der geschichtliche Religionsstifter
Unsere Auffassung der Offenbarung ist dem heute herrschenden
naturalistischen Denken so fremd, daß wir ihr noch einige Er-
läuterungen zu widmen haben.
Jeder Mensch, der sich durch einen plötzlichen Zusammenbruch
schmerzlich aus einem tauben, äußerlichen Leben gerissen findet,
jeder, der sich durch eine große Liebe, durch den Tod seiner
Nächsten plötzlich auf eine andere Welt hingewiesen sieht, wird
Gottes inne. Er wird sich seiner Rückverbundenheit in einem
Höheren bewußt — er macht eine mystische Erfahrung. Auch der
äußerlich gerichtete Mensch kann auf solchen Wegen zu mystischen
Ahnungen und Erfahrungen gelangen. Der innerliche, besinnliche
Mensch jedoch stößt auch ohne solche Katastrophen auf den letzten
Grund seines Daseins, auf seinen Rückverbundenheitsgrund. Er
wird dessen inne, daß er sein Leben nicht aus eigener Kraft zu
führen imstande sei, er fühlt sich von einem Höheren getragen,
von ihm durchdrungen, in ihm geborgen und das eben heißt
rückverbunden.
So zeigt sich, daß für beide Menschentypen, den mehr äußer-