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V. Äußere Offenbarung
Zur inneren Offenbarung kommt nach der Annahme aller Re-
ligionen auch noch äußere, in sinnlich wahrnehmbaren Erscheinun-
gen wirkende Offenbarung hinzu, indem sie die innere begleitet
oder vielleicht auch für sich allein auftritt.
Diese Art der Offenbarung ist zweifelhaft. In einem allgemeinsten
Sinn kann man von äußerer Offenbarung allerdings sprechen. Die
N a t u r in ihrer Erhabenheit ist als die allgemeinste äußere Offen-
barung zu betrachten, indem sie das Gefühl der Göttlichkeit im
Menschen mit erwecken hilft und die Gedanken an Gott befestigt.
„Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“, singen die Psalmen, „der
gestirnte Himmel über mir“ heißt es bei Kant. Naturkatastrophen,
wie sie bei Christi Tod — oder auch nur in Shakespeares „Julius
Cäsar“ — auftreten, Blitz, Donner und Erdbeben oder auch freund-
liche Naturereignisse, wie sie in Ludwig Tiecks „Elfen“ geschildert
werden, wären sodann besondere Formen äußerer Offenbarungen
in der Natur.
Eine andere Frage ist es, wie weit besondere äußere Offenbarun-
gen anzuerkennen, das heißt als H e i l s o f f e n b a r u n g e n zu
betrachten seien. Wir finden sie in Wahrheit stets mit inneren eng
verknüpft, so Saulus-Paulus vor Damaskus. Endlich gehören hierher
alle religiösen W u n d e r .
Diese Wunder lehren uns, wie abgeleiteter Art die besonderen
äußeren Offenbarungen sind — und wie nebensächlich! Sie können
in Wahrheit nur schon vorhandene innere Offenbarung unterstüt-
zen, stärken und lenken. Die Natur selbst könnte den Gottesglau-
ben nicht erwecken
1
, und auch Wundertaten vermöchten das nicht,
wäre er nicht innerlich schon mit der Rückverbundenheit gegeben
— würde nicht Gott durch Gott erkannt in der Seele!
Daher sind z. B. auch G e s t i r n d i e n s t u n d A s t r o l o g i e ,
welche sozusagen auf beständigen äußeren Offenbarungen fußen
wollen, wenn überhaupt so erst dann möglich, nachdem die innere
Offenbarung voranging, das heißt die Gottesidee im Innern des
Menschen schon lebendig wurde. An solchen Verirrungen erkenne
man, auf wie schwachen Füßen alle äußeren Offenbarungserschei-
nungen stehen.
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Wie sich früher so oft zeigt, siehe S. 24 ff. und öfter.