Wir vollenden die bisher entwickelte Phänomenologie und Mor-
phologie der Religion durch einen Überblick ihrer Unvollkommen-
heitsformen und ihres kategorialen Aufbaues, woran sich ein Ver-
gleich des Wahrheitsgehaltes am einfachsten anschließt.
I.
Die Fehlausgliederungen in den Religionen
„... im Gottesdienst,
Wo ist ein Irrwahn, den ein ehrbar’ Haupt
Nicht heiligte, mit Sprüchen nicht belegte,
Und bürge die Verdammlichkeit durch Schmuck?
(William Shakespeare: Der Kaufmann von Venedig,
3. Aufzug, 2. Szene.)
Wie der menschliche Geist in allen seinen Äußerungen Unvoll-
kommenheiten aufweist, wie es logische, ästhetische, ethische Fehler
und Entartungen gibt, so auch religiöse.
Bei Erörterung der Quellen der Religion ergaben sich schon von
selbst Einblicke in ihre Schwächen und Entstellungen. Nunmehr
haben wir sie zusammenhängend zu entwickeln.
Den Leitfaden für die allgemeine Bestimmung der Unvollkom-
menheiten und Fehlausgliederungen entnehmen wir dem Begriff
der Religion selbst, der konkreten Verwirklichung der Rückver-
bundenheit. Da ergeben sich zwanglos:
1.
die nur teilweise oder annähernde Vollziehung des Rückver-
bundenheitsbewußtseins: Glaubensschwäche, Unglaube.
2. Die Überwucherung der Frömmigkeit durch äußeres Handeln:
gewalttätiger Glaubenseifer (religiöser Fanatismus).
3.
Der aus mangelhafter mystischer Erfahrung, das heißt aus /
Schwäche, im höchsten Vollzug des Rückverbundenheitsbewußtseins
sich ergebende verworrene Mystizismus.
4.
Der aus einem Versinken in unechte, genießerische Mystik
oder aus falscher Entwertung des Lebens sich ergebende Quietismus.
5. Der als Schwäche magischer Erfahrung sich ergebende Aber-
glaube mit seinen Folgen: die uferlose Vielgestaltigkeit und die da-