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„Ich wie Gott! Da tritt in mich
Plan der Schöpfung, weitet sich,
Drängt zusammen und wird Nacht
Endet froh und jauchzt: Vollbracht!
Ich wie Gott! Da schlägt mein Herz
Königsmut und Bruderschmerz.
Alles Leben hier vereint,
Fühlt der Mensch sich aller Freund!
Immer tiefer, höher. Ich
Bin’s, in dem die Schöpfung sich
Punktet, der in alles quillt,
Und der sich in alles füllt!“
Nach diesem lebendigen Zeugnis der ungeheuren latenten Ener-
gien der mystischen Seele bedarf es keiner weiteren Worte, daß
aller Qietismus eine Entstellung der Religion sei, die keineswegs
echter Mystik entspricht, sondern den Menschen der Weltarbeit
entfremdet.
E. Der A b e r g l a u b e
Das magische Bewußtsein ist wie eine eigene Quelle der Religion,
so auch eine eigene Quelle ihrer Fehlausgliederungen: die völlig
hohle, oberflächliche, leere Magie, die lediglich am Äußeren hängt,
ist der Aberglaube. Wer z. B. dem Umstand, daß ein Hase über
den Weg läuft oder irgendwo die Zahl 13 auftaucht, oder der
Ruf des Kuckucks erschallt, oder eine Stelle an der Haut juckt,
eine schicksalhafte, übersinnliche Bedeutung beimißt, überträgt in
äußerlichster, gedankenloser Weise magische Riten, Symbole, Ent-
sprechungen auf den natürlichen Lauf der Dinge, ohne eine Ahnung
von jener Innerlichkeit und Konzentration zu haben, an welche
Magie und ihre Symbole gebunden sind. Statt von hohen, gött-
lichen Erscheinungen der / Natur oder des inneren Lebens auszu-
gehen, wird die Rückverbundenheit in nichtigen Äußerlichkeiten
und Zufällen gesucht.
Daher ist der Aberglaube auch eine Quelle wildwuchernder
F a b e l e i und leichtfertiger Personifizierung allgemeiner Verhält-
nisse oder Begriffe, so daß dadurch schließlich etwas Zügelloses und