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mit verbundene Trübung der Sagen, Kulte und Ritualien. Hierher
gehören auch die Entartungen aus exoterischen Bildern.
6.
Endlich kommen hier noch die grundsätzlichen Fehlformen
des Gottes b e g r i f f e s hinzu, die sich in allen Religionen als
deistische oder als pantheistische, ferner als rationalistische oder
irrationalistische Übertreibungen finden können.
A.
G l a u b e n s s c h w ä c h e u n d U n g l a u b e
Wenn der Vollzug des Rückverbundenheitsbewußtseins nur sehr
schwach ist, so daß er vom Lärm der Welt und vernünftelnden
Meinungen überschattet wird, dann haben wir Glaubensschwäche
oder sogar — formell gesehen — Unglaube, Atheismus vor uns.
Gänzlich kann aber in Wahrheit das Rückverbundenheitsbewußtsein
nicht fehlen (selbst der geistesschwache Mensch, und gerade er, lebt
in gewissermaßen traumhaften, ekstatisch-natursichtigen Zustän-
den). In jedem Selbstbewußtsein ist notwendig auch eine Spur von
Rückverbundenheitsbewußtsein,
von
Übersinnlichkeitserfahrung
mit eingeschlossen, insbesondere auch schon im G e w i s s e n , wel-
ches selbst in der schwächsten Form einen transzendenten Zug
bewahrt. Daher kann das Übersinnlichkeitsbewußtsein, der Glaube,
zwar äußerst geschwächt, verdunkelt, abgelenkt, namentlich auch
durch verschiedene Fanatismen nach Art des Vernunftkultus der
französischen Revolution, welche man mit Recht „Religionsersatz“
nannte, überdeckt werden, aber nicht gänzlich fehlen.
Der Unglaube ist daher, genau genommen, stets G l a u b e n s -
s c h w ä c h e , Kleinglaube, das ist eine nur dumpfe Berührtheit
des menschlichen Herzens vom Transzendenten. Alles, was sonst
das Übersinnliche im Menschen erweckt: die Schönheit und das
geheime Leben in der Natur, die Erhabenheit des Sternenhimmels,
die Erschütterung der Musik, Poesie und bildenden / Kunst, das
Rätselvolle der menschlichen Geschichte, die dunkle Mahnung des
Todes — es vermag den Kleingläubigen nicht aufzurütteln.
Aus solcher Unerwecktheit entstehen entweder die r e l i g i ö s e
G l e i c h g ü l t i g k e i t oder, wenn der religiöse Brauch doch
äußerlich geübt wird, die F r ö m m e l e i anstelle der Frömmigkeit,
die S c h e i n h e i l i g k e i t u n d H e u c h e l e i anstelle echter
religiöser Hingebung, ja sogar das Gegenteil: die Religionsfeind-
schaft, die bis zum S a t a n i s m u s ausarten kann.