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3. Die spekulativ-theologische Begründung.
Exoterische Vergröberung und Fabelei allein konnten aber
schwerlich dem Seelenwanderungsglauben eine so beherrschende
Stellung in den Religionen der alten Welt verschaffen, hätten sich
mit ihm nicht spekulativ-theologische Gedanken verbunden und
zwar vor allem solche, welche die Übel der Welt, das Böse, die
Sünde zu erklären und die Notwendigkeit einer S ü h n u n g ,
L ä u t e r u n g durch die Strafen der Einkörperung, z. B. in Tier-
leiber, zu begründen suchen, ferner auch solche, welche an die Kate-
gorie der Gottverwandtschaft anknüpfen.
Die Läuterung kennt ja auch das Christentum, allerdings nach
dem Tod, nämlich im F e g e f e u e r (einem bildlichen Begriff);
desgleichen lehrt Zarathustra und der Götterdämmerungsmythos
eine Läuterung in einem l e t z t e n G e r i c h t ; und das gleiche
Ziel hat die christliche Lehre von der W i e d e r b r i n g u n g
a l l e r D i n g e , άποκατάσταοις
1
,
sie bezieht sich sowohl auf die
Menschheit als auf die Natur (dagegen haben, nebenbei gesagt, die,
einen ähnlichen theologischen Zweck verfolgenden Bestimmungen
über die Ewigkeit der Höllenstrafen „keine dogmatisch bindende
Kraft“ wie es in dem Handbuch der katholischen Dogmatik heißt
2
).
Ebenso sind die, in der altindischen K a r m a l e h r e enthalte-
nen theologischen Spekulationen zu verstehen. Darnach wird das
Schicksal des Menschen nach dem Tod durch seine Taten im Leben
bestimmt (Karma = Werk, Tat). „Gut wird (das heißt ein gutes
Schicksal erhält) einer durch gute Tat, böse durch böse / Tat“ (im
Jenseits)
3
. Der gute Mensch, nach den Upanischaden derjenige, wel-
cher weiß „ich bin der Atman“, den also Erkenntnis erlöst (Erkennt-
Reste urältester Überlieferung. — Eine philologische Stoffsammlung gibt Walter
Stettner: Die Seelenwanderung bei Griechen und Römern, Stuttgart und Berlin
1934.
1
Apostelgeschichte 3, 20—21, Römerbriefe 8, 19 ff., 1. Korintherbrief 15, 24 ff.,
2. Petrus 3, 10 ff.
2
Matthias Joseph Scheeben-Leonhard Atzberger: Handbuch der katholischen
Dogmatik, Bd 4, Freiburg i. B. 1898, Neudruck 1927, S. 829.
3
Brihadaranyaka-Upanishad 2, 1, 20. — Vgl. zum folgenden auch Otto
Strauß: Indische Philosophie, München 1925, S. 53 ff. — Das anschaulichste Bild
dieser indischen Vorstellungswelt liefert das „ J a t a k a m “, das Buch der Er-
zählungen aus früheren Existenzen Buddhas, aus dem Pali zum ersten Male voll-
ständig ins Deutsche übersetzt von Dr. Julius Dutoit, 6 Bde, Leipzig 1908 ff.