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auch im Brahmanismus, im Buddhismus, schließlich fast in jeder
Ahnenreligion, auch im späteren Taoismus
1
.
Alles in allem genommen, erweist sich der Seelenwanderungs-
glaube nicht als ursprüngliches, sondern als abgeleitetes religiöses
Gut. Denn er gehört nicht dem esoterischen, sondern dem exoteri-
schen und durch mythologische Fabeleien getrübten Vorstellungs-
kreis an. Aber, und das ist unser wichtigstes Ergebnis, hinter ihm
stehen t h e o l o g i s c h e D e n k n o t w e n d i g k e i t e n , kate-
goriale Begriffe, welche sich in allen Religionen zeigen: Läuterung,
Schuld und Sühne, Schicksal, Gottverwandtschaft, freie, intelligible
Entscheidung.
Damit verliert diese Lehre ihre Fremdartigkeit und kommt zu
den anderen peripheren Verschiedenheiten, Sinnbildern, Entstel-
lungen der Religionen hinzu, deren wir schon so viele kennen
lernten.
Bedarf die Seelenwanderungslehre (Metempsychose) noch einer
grundsätzlichen Widerlegung? Wir meinen nicht, da sie weder der
unmittelbaren mystischen oder magischen Erfahrung entstammt,
noch auch logischen Schlüssen aus ihr.
Eine aus der Ideen- oder Formenlehre stammende Widerlegung
gab A r i s t o t e l e s , indem er in der Einleitung zu seiner Schrift
über die Seele sagte: „ . . . als ob nach den Fabeln der Pythagoreer
von der Seelenwanderung eine beliebige Seele in einen beliebigen
Leib eintreten könnte. Es scheint aber doch jedes Substrat seine
eigene Form und Gestalt zu haben. Jene aber reden, wie wenn je-
mand sagen wollte, die Baukunst bediene sich der Flöten
2
. Denn
in Wirklichkeit muß jede Kunst ihre eigenen Werkzeuge haben und
ebenso ist die Seele an ihren einen Leib gewiesen“
3
. Das will sagen,
ein Mensch kann nicht in einen Tierleib usw. eintreten.
Aristoteles argumentiert hier aus der gattungsmäßigen Bestimmt-
heit und Beständigkeit, wie schließlich der individuellen / Bestimmt-
heit der Idee oder Form (Substanz, Eidos). Sein Gedankengang ist
von dieser Prämisse her unwiderleglich: Nur was z. B. der Idee
1
Vgl. Friedrich Ernst August Krause: Ju-Tao-Fo, Die religiösen und philoso-
phischen Systeme Ostasiens, München 1924, S. 196.
2
Beim Bauen wurden Flöten zum Rhythmus der Arbeiten geblasen. Die Bau-
werkzeuge waren darum natürlich nicht Flöten, sondern Schaufeln, Hacken usw.
3
Aristoteles: Einleitung zur Schrift über die Seele, 407 b, S. 23 ff.