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nis hebt das Begehren, kama, auf), geht den „Götterweg“, für ihn
gibt es keine Wiederkehr, er wird nach dem Tod zum Gott. Die
anderen gehen den „Väterweg“, das heißt sie kehren entweder erst
nach Aufzehrung der Frucht ihrer guten Taten (auf dem Mond) zur
Erde zurück, sie werden wieder in den Kreislauf der Geburten (sam-
sara) verstrickt, oder aber sie müssen, indem sie als Regen zur Erde
fallen, alsbald in unglücklichen Existenzen ihre früheren Übeltaten
büßen, dadurch, daß sie in oberen oder in unreinen Kasten gebo-
ren werden oder gar als Hunde, Schweine, Insekten zur Erscheinung
kommen
1
.
Man muß gestehen, daß diese Ansicht bei aller Paradoxie auch
etwas Großartiges an sich hat. Indem sie alles Düstere im Leben der
Menschen und der Natur der sittlichen S c h u l d des Menschen
selbst zuschreibt und den Menschen damit in den Mittelpunkt des
Schicksals wie der Natur (sofern diese wiederverkörperter Mensch
ist) stellt, gibt sie eine sittliche Rechtfertigung der Schicksale der
Menschen.
Die Begründung liegt hier darin, daß der Mensch durch alles, was
er denkt und tut, seine inneren Kräfte, seine geistige Wirklichkeit
verändere, wodurch nach dem Tod dieser seiner anderen geistigen
Wirklichkeit auch ein anderes späteres Schicksal, insbesondere auch
eine andere spätere Leiblichkeit (allenfalls eine tierische) entspricht.
„Wie eine Raupe, wenn sie an die Spitze eines Grashalmes gelangt
ist, sich in sich selbst zusammenzieht, so läßt dieser Atman (das
menschliche Selbst im Tod) diesen Leib fallen und ... zieht sich, in
eine neue Bahn eingehend, in sich selbst zusammen“
2
.
Die Karmalehre schiebt demnach die Erklärung des einen Lebens
auf ein anderes, früheres, zurück und so ins Unendliche; aber für
den einfachen, logisch ungeschulten Verstand, der nicht gewohnt ist
zu Ende zu denken — wie entstand zum e r s t e n / M a l das
schlechte Schicksal eines Menschen? — ist das böse Schicksal der
Guten und das gute Schicksal der Bösen, welches die Erfahrung so
oft zeigt, durch das Karma auf die einleuchtendste Art erklärt, ja,
was noch mehr ist, die s o z i a l e F r a g e gelöst. Denn Sklaven,
1
Otto Strauß: Indische Philosophie, München 1925, S. 56.
2
Brihadaranyaka-Upanishad 4, 4, 3—4.
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