[303/304]
333
Jene Dämonisierung und diese Abstrusität äußern sich unter an-
derem in den oft in zahlreichen, überaus verwickelten, hauptsäch-
lich von der Magie abgeleiteten Praktiken: den T a b u i e r u n -
g e n , S p e i s e v e r b o t e n , l e b e n s h e m m e n d e n R i t u a -
l i e n u n d a n d e r e n G e s e t z e s v o r s c h r i f t e n , b e -
s o n d e r s a b e r i n b l u t i g e n O p f e r - , F e t i s c h - u n d
D ä m o n e n d i e n s t e n .
An alledem zeigt sich, inwiefern das heidnische Leben keineswegs
so harmlos genommen werden könne, wie es sich etwa in den ho-
merischen Epen darstellt, wo es der größte Dichtergenius verklärt.
Denn außer der hier gezeigten lichten olympischen Seite hat es not-
wendig auch eine dämonisch-chthonische, eine Nachtseite.
Das erkennt man besonders schmerzlich an dem gesamten Opfer-
wesen. Pflanzen- und Gewürzopfer allein haben nur die mystischen
Richtungen, wie wir das z. B. an den uns erhaltenen orphischen
Hymnen sehen. Für den Polytheismus im engeren Sinn ist dagegen
das blutige Opfer unentbehrlich. Warum?
Wie die ältesten Religionsurkunden lehren und auch schon Baader
zeigte, sollen sich jene transzendenten Mächte, die Götter (auch der
Elohim des Pentateuch der alten Juden), vornehmlich im O p f e r -
b l u t verkörpern. Das Opfer ist daher, wie sich schon zeigte, eine
Beschwörung, der Versuch, die Anwesenheit des Gottes zu erzwin-
gen — ein Götter- und Geisterzwang! Denn im Blut wohnt, wie
angenommen wurde, die Lebenskraft (die „vegetative Seele“ des
Aristoteles). Opfer-Rauch und O p f e r - F e u e r dienen weiter-
hin dieser Verkörperung, darum auch die B e s t ä n d i g k e i t der
Opfer. Das Opfer-Feuer (welches Blut und Fett verbrennt) darf nie
ausgehen (das Feuer hat allerdings auch mystische Bedeutung, wie
früher dargetan).
Aus der Auswahl der zu opfernden Wesen — Menschen oder /
Tiere — können sich dann Speiseverbote und -gebote sowie To-
t e m i s m u s ergeben; das Menschenopfer kann zum Tieropfer,
das Tieropfer kann zum Menschenopfer führen, die Gebete können
in Anrufungen, diese in Beschwörungen, den Götterzwang, aus-
arten — den Greueln, Absurditäten und dämonischen Fesselungen
der Menschen ist fast keine Grenze gesetzt.
Wer meinte, diese Greuel wären lediglich Verirrungen, lediglich