Zum tieferen Verständnis der Religionsgeschichte gehört auch die
Erkenntnis der Urreligion. Denn diese widerlegt erst völlig die
Lehre einer Entwicklung des Höheren aus dem Niedrigeren, das ist
des Menschen aus dem Tier, der Religion aus der Sinnlichkeit, der
höheren Religion aus der niederen — den sogenannten Evolutionis-
mus der Moderne.
Wir prüfen zuerst den Grundsatz des Evolutionismus und dann
die Religionsgeschichte.
I.
Unmöglichkeit einer Entstehung des Höheren aus dem Niederen
Grundsätzlicher Unterschied von Umgliederung und erster
Entstehung oder Ur-Ausgliederung
Die Frage der Urreligion kann durch geschichtliche Erfahrung
nicht entschieden werden. Denn da, wie die Naturwissenschaft
glaubhaft lehrt, das Menschengeschlecht Zehntausende, ja Hundert-
tausende von Jahren alt ist, können uns die vorgeschichtlichen
Zeugnisse, welche der Boden überliefert, nichts von der Urzeit er-
zählen. Zwar ist sicher, daß die ältesten uns erhaltenen Überreste
der Vorzeit, welche der Spaten zutage förderte, religiöse Vorstel-
lungen bezeugen; aber diese Zeugnisse können, abgesehen davon,
daß wir über den Unsterblichkeitsglauben hinaus nicht viel aus
ihnen herauslesen können, unmöglich den ersten, allerältesten Men-
schen angehören. Denn von Hunderttausenden von Jahren gibt es
keine Überreste mehr, die sich im Boden erhalten konnten.
Freilich ist man geneigt, die Schlüsse, welche uns die kümmer-
lichen Reste der alten Steinzeit auf den damaligen Zustand der
menschlichen Kultur und der Religion erlauben, in der Weise zu
erweitern, daß man vorher einen noch niedrigeren Zustand an- /
zunehmen habe, bis man schließlich bei einem Tiermenschen und
bei tierischen Vorfahren des Menschen anlangt.
Allein gegen diese Schlüsse sprechen starke Gründe. Heute, nach-