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dem der Rausch des Darwinismus ausgeträumt ist und sogar ein
Zweifel an der Deszendenztheorie selbst nicht mehr zu dem Un-
erhörten gehört, heute wird man den Mut schon eher aufbringen,
das Hervorgehen des Menschen aus der Tierwelt zu bezweifeln.
Und wer über das Grundsätzliche tiefer nachdenkt, wird unfehl-
bar zu dem Ergebnis kommen, daß es e i n e E n t w i c k l u n g
d e s H ö h e r e n a u s d e m N i e d e r e n g r u n d s ä t z l i c h
n i c h t g e b e n k ö n n e .
Das Niedere macht dem Höheren Grund, das Niedere kann das
Höhere in sich aufnehmen und dadurch erhöht werden, aber es
kann dadurch seine Art nicht ändern, nie und nimmer sich selbst
zu einem Höheren emporbilden, „entwickeln“. Das zeigt sich so-
wohl im Verhältnis vom anorganischen Stoff zum organischen
Leben, wie im Verhältnis vom organischen Leben zum Geist. Es
ist schlechthin unmöglich, daß der elementare, leblose Stoff sich zu
Leben „entwickeln“ könne. Denn mag er auch immer „komplexere
Moleküle“ mit immer „labileren Gleichgewichten“ und immer
„komplexere Chemismen“ bilden — Leben wird daraus niemals.
Chemismus ist noch kein Leben, welches ja nicht nur durch „in-
tensivere Wechselwirkung der Teile“, sondern durch Einheit in sich
selbst gekennzeichnet ist und welche Einheit oder Ganzheit sich
stets durch eine sinnvolle Leistungsgliederung der Organe kenn-
zeichnet, in äußerlicher Hinsicht, ferner durch den von jener Ein-
heit und ihrer Leistungsgliederung getragenen Stoffwechsel —
Eigenschaften, die dem chemisch-physikalischen Ablauf grundsätz-
lich nicht erschwinglich sind (das heißt hier nur vermittelt auf-
treten können).
So wie nun Leben, organische Materie, nicht aus elementarem,
anorganischem Stoff entstehen kann, kann auch der Geist nicht aus
dem organischen Leben und seiner Stoffgliederung entstehen, eine
Einsicht, die heute, da die groben Formen des Materialismus hinter
uns liegen, nicht mehr bewiesen zu werden braucht. Die Materie
kann nicht d e n k e n und daher auch nie G e i s t sein, noch er-
zeugen. Es ist schlechterdings undenkbar, daß organische Materie
sich zu Seele und Geist „hinaufentwickle“, indem sie etwa immer
„reizsamer“ würde, immer differenziertere Sinnes- / empfindungen
hervorbrächte und deren Erinnerungsbilder oder Vorstellungen
schließlich zu Gedanken kombinierte, also zum denkenden Geist