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stufenweise würde — denn Geist ist nicht Materie, er ist bewußte
Selbstanschauung, Selbstobjektivierung. Er ist damit ein Geschehen,
welches auf einer a n d e r e n , h ö h e r e n E b e n e liegt als die
bloße Einheit der Leistungsgliederung des Organismus und des
Stoffwechsels, die das Leben bezeichnen.
Das Höhere entsteht also in beiden Fällen nicht aus dem Nie-
deren, die lebendige, organische Materie nicht aus dem Chemismus
und Physikalismus des Stoffes, der Geist nicht aus der organischen
Materie.
Daß sich der Art nach Höheres aus dem Niederen entwickle, ist
so unmöglich, wie daß die Sonne morgens im Westen aufgehe. Das
Ergebnis bleibt immer das gleiche: Wer tiefer in das Wesen der
Dinge eindringt, erkennt es als beständig. Es k a n n s e i n e
S e i n s a r t n i c h t v e r l a s s e n , n i c h t s i c h s e l b s t
ü b e r s p r i n g e n . Das Niedere bleibt was es ist, es hat nur die
Möglichkeit, das Höhere in sich aufzunehmen und dadurch daran
teilzunehmen.
„Entwicklungen“ vom Niederen zum Höheren denkt, wer das
Sein nicht kennt und an der Oberfläche haftet. Das wunderbare
Geheimnis des Seins dagegen ist das Aufnehmen des Höheren durch
das Niedere, das Grundmachen für das Höhere durch das Niedere.
So versteht man, daß der Stoff Grundlage des Lebens werden könne,
und das im Stofflichen verankerte Leben Grundlage für den Geist!
Darin liegt aber: daß Höheres und Niederes für sich jeweils schon
g e g e b e n sein müssen, sei es latent, sei es verwirklicht. Das
e r s t e E n t s t e h e n können wir nirgends beobachten.
Das erste Entstehen ist ein Urmysterium dessen Schleier noch
niemand lüftete.
Nur was jeweils schon Sein hat, können wir in seiner Verbin-
dung untereinander beobachten, in seinen Veränderungen, Umge-
staltungen, Umgliederungen. J e d e U m g l i e d e r u n g , a l l e s
d a s , w a s m a n „ E n t w i c k l u n g n a c h a u f w ä r t s "
n a n n t e , i s t i n W a h r h e i t d i e E n t f a l t u n g e i n e s
s c h o n G e g e b e n e n , G e g r ü n d e t e n , Entfaltung dessen,
was schon angelegt, schon keimhaft vorhanden ist; es ist nicht /
erste Entstehung, nicht Entstehung eines Neuen, eines Höheren
aus dem Niederen.