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II. Die Ursprünglichkeit der Religiosität
Diese Erkenntnis haben wir nun auf die Religionsgeschichte an-
zuwenden, zunächst auf die Urreligion.
Wenn uns einerseits die geschichtlichen Zeugnisse über die älteste
Religion im Stiche lassen müssen, andererseits aber eine Entwick-
lung des Höheren aus dem Niederen der Sache nach eine Unmög-
lichkeit darstellt, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als aus dem
W e s e n d e s G e i s t e s s e l b s t auf die Urreligion zu schließen.
Ist nun, wie erkannt, das erste Entstehen des Menschen ein My-
sterium, welches sich aller Erfahrung entzieht, da diese immer nur
die Umgliederung eines schon Gegebenen zum Gegenstand hat, so
ist es unmöglich, zu erörtern wie der erste Mensch empirisch ent-
standen sei. W e n n e r a b e r d a i s t — w e l c h e B e s c h a f -
f e n h e i t h a t e r ? Das ist die Frage!
Wir betrachten es als eine Grund- und Urtatsache aller Ge-
schichte, daher vor allem der Religionsgeschichte, daß der ursprüng-
liche Mensch in seinem Grundzug durchaus als ekstatisch-somnam-
bul und daher in einem mystischen Zustand vorzustellen sei. Dar-
auf weist alles hin, was wir hiefür in Erwägung ziehen können, vor
allem aber die Überlegungen und Einsichten der Mystik aller Zei-
ten, der ältesten ebenso wie der jüngsten.
Darauf weisen zunächst alle ältesten Zeugnisse hin, die wir be-
sitzen. Die ägyptischen Statuen z. B. sind alle hieratisch, und zwar
in dem Sinne, daß alle einen Zustand der Meditation anzeigen
(welche ja zu Ekstase führt). Das starre Lächeln im Gesicht dieser
Statuen ist die Starrheit der Entzückung und Entrückung (keines-
wegs Unfähigkeit des Künstlers); die gerade, stille Haltung der
sitzenden ägyptischen Figuren ist die Haltung der Meditation; die
auf die Knie gelegten Hände deuten auf eine bestimmte Form der
mystischen Übungen hin. Ebenso steht es im Bereich des Brahma-
nismus und Buddhismus. Unverkennbar finden wir hier überall in
der bildenden Kunst die Yogahaltung, die Meditation, die Ver-
zückung. Das gleiche wird man von den babylo- / nisch-assyrischen
Denkmälern, ebenso von den persischen nicht bestreiten. Selbst
von den oft fratzenhaften Bildnissen der Naturvölker gilt dasselbe:
sie zeigen überall das Ekstatische an.
Darauf weist ferner alle Geistesgeschichte hin. Je weiter wir in