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Menschen zu verstehen, das heißt um sich jenen Urzustand zu ver-
gegenwärtigen. In ihm ist dem Menschen das Wesen der Dinge ge-
geben, das in allen Dingen schlafende Lied vernehmlich.
Halten wir nun den Urmenschen als einen mystisch-ekstatischen
fest — was folgt daraus für die Urreligion? Nicht weniger als daß
der U r m e n s c h i n h ö c h s t e r m y s t i s c h e r G o t t e s -
e r f a h r u n g z u d e n k e n s e i . Denn in der höchsten Ekstase
befindet sich der Geist stets im Höchsten rückverbunden.
Und welchen Charakter konnte diese höchste Gotteserfahrung
haben? Denselben, den sie immer hatte und heute noch hat, einen
solchen, den uns die Upanischaden und Laotse ebenso zeigen wie
der Sufismus und Meister Eckehart — aber noch gehoben durch die
erste Gottesnähe, den geistigen Status nascendi.
Heute pflegen wir eine solche Religiosität mit dem Ausdruck
m o n o t h e i s t i s c h zu bezeichnen.
Am Anfang kann nur eine m o n o t h e i s t i s c h e U r -
m y s t i k gestanden haben, denn alles Magische, welches (zum
Unterschied von der Mystik) in der Beziehung zu materiellen und
geistigen Dingen besteht, war damals noch latent, wie aus dem
Begriff der mystischen Rückverbundenheit folgt. Alles rein My-
stische beruht auf Rückverbundenheit im Höchsten, alles Magische
auf Rückverbundenheit in niedrigeren (materiellen und geistigen)
Zentren. Die Magie aber ist es erst, aus welcher, wie sich schon
früher zeigte, die Vielgötterei entspringt.
Darum konnte in der mystischen Urzeit nur die eine höchste
Gottheit den Menschen erfüllen.
Erwägen wir allerdings, daß der Begriff des Monotheismus sein
Gepräge erst erhielt als der Polytheismus auftrat, so erkennen wir,
daß der Urmonotheismus jenen G e g e n s a t z gegen den Poly-
theismus noch nicht ausdrückte, den er heute ausdrückt, daher auch
nicht im vollen Sinn des heutigen Begriffes Monotheismus war, der
etwas Polemisches enthält. Das Wesentliche bleibt aber bestehen,
daß in der höchsten mystischen Erfahrung nur „Gott durch Gott
erkannt werde in der Seele“, wie Meister Eckehart sagte, darum
nur der eine Gott den Menschen erfüllte.
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Wir sprechen demnach lieber nicht von „Urmonotheismus im
engeren Sinn als Ausgangspunkt der Religionsentwicklung, weil
dieser Begriff einmal zu theoretisch klingt, und weil er ferner zur