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väter unter Benützung der großartigen, besonders im Neuplatonis-
mus gegebenen Hilfsmittel der griechischen Philosophie und Bil-
dung weiter entfaltet werden.
Von den religiösen Kategorien her ist demnach auch das Verhält-
nis des Christentums zur mythologischen Religion zu beurteilen.
Wenn David Friedrich Strauß die Geschichte Jesu in Mythos auf-
lösen wollte, wenn man mindestens einwandte im Urchristentum
stecke noch viel Mythologisches, so ist daran soviel wahr, daß damals
allerdings erst noch aus dem Boden heraus gearbeitet werden mußte.
Die Welt war noch vom mythologischen Denken erfüllt, und das
konnte nicht mit einem Schlag beseitigt werden. Aber trotzdem
vermochte das mythologische Denken nicht den Kern und das We-
sen des Christentums anzugreifen. Allein schon Worte des Evan-
geliums wie: „Es ist nichts außerhalb des Menschen, das ihn könnte
gemein machen, so es in ihn geht; sondern was von ihm ausgeht,
das ist’s, was den Menschen gemein macht“
1
, waren eine Schutzwehr
gegen tausendfachen Tabuglauben, gegen Gesetzeskultus und dämo-
nischen Magismus.
Wahr ist sogar, daß die polytheistischen Kräfte noch lange Zeit,
sogar bis in das Mittelalter und länger, unter der Decke wirkten,
wovon zuletzt die Hexenprozesse mit ihren Greueln ein düsteres
Zeugnis ablegen. Völlig auszuschalten sind allerdings diese Kräfte
überhaupt niemals. Aber sie sollen es auch gar nicht sein, wie es sich
sogleich zeigen wird, indem wir nun das Verhältnis der Urmythen
zum Christentum betrachten.
II. Urmythen und Christentum
War unsere Analyse der Religionen richtig, dann müssen diesel-
ben Kategorien im Christentum lebendig sein wie in allen anderen
Religionen, allerdings in vollkommener Gestalt. Daraus folgt aber
nichts Geringeres, als daß das Christentum auch E n t s p r e -
c h u n g e n zu den aus jenen Kategorien im Polytheismus hervor-
gegangenen Urmythen aufweisen müsse.
Man erschrecke nicht, wenn wir sagen, in den christlichen Glau-
benslehren müßten Entsprechungen zu den Urmythen des / Heiden-
1
Markus 7, 15; vgl. Apostelgeschichte 10, 14, 15.