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schöpfliche Fülle der konkreten Erscheinungsformen der Religionen
in der Geschichte"
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zu erfassen vermöge.
Werden diese Urkategorien alles Religiösen aufgedeckt, ist der
religionsgeschichtliche Relativismus erschüttert; wird darüber hin-
aus eine gemeinsame Urquelle alles Religiösen freigelegt, bricht jeder
Relativismus in sich zusammen; es bleibt dann lediglich noch eine
dritte Aufgabe, die Fülle der geschichtlichen Konkretisierungen alles
Religiösen zu begründen und verständlich zu machen.
Beide Aufgaben: die Einheit in aller Verschiedenheit aufzuzei-
gen (1) und die so tiefen Verschiedenheiten und die gewaltigen
Rangunterschiede aller geschichtlichen Religionen nachzuweisen (2),
beide Aufgaben einer Religionsphilosophie von heute, unternimmt
Spann mit den Begriffsmitteln seines auf bereits so mannigfachen
Wissensgebieten angewandten ganzheitlichen Verfahrens zu lösen.
Wir wollen gleich vorwegnehmen: die Lösung der Aufgabe gelingt
in einer Weise, wie sie bislang weder dem Empirismus, noch dem
Historismus, noch dem Schellingischen oder Hegelischen Idealismus
gelungen ist. Wie große Vorbehalte von den verschiedenen theolo-
gischen Lehrrichtungen gegen das Gebäude dieser Religionsphiloso-
phie noch vorgebracht werden mögen, das großartige Gefüge der
Baugedanken und deren ordnende Kraft, die den gewaltigsten Stoff
der Menschheitsgeschichte bewältigt, wird niemand leugnen können.
Unabsehbares Material ist aus der heiligen Geschichte aller Hoch-
kulturen, aus deren heiligen Büchern, aus der Fülle der Mythologien
und Theogonien, der Erscheinungsformen des religiösen Lebens der
Naturvölker verarbeitet, so lebendig und so spannend zu einem fast
wie ein Kunstwerk anmutenden Gedankengebäude aufgebaut, daß
es dem einmal gefesselten Leser schwer fällt, die Lesung zu unter-
brechen — eine in jahrelanger Sammlung und Einsamkeit ausge-
reifte Schöpfung des siebzigjährigen Gelehrten.
Diese „Schöpfung“ schöpft nicht nur in des Wortes eigentlichster
Bedeutung aus den Eingebungen eines so intuitiven Geistes, ohne
welche ein solches Werk nicht geschaffen werden könnte, nicht nur
aus dem unermeßlichen Stoff des heute vorhandenen religionsge-
schichtlichen Materials, sondern insbesondere und in unabdingbarer
und richtunggebender Weise aus den Ereignissen der eigenen Werke.
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Siehe oben S. 45.