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ler Entartungen der Religionen
1
, insbesondere auch eine Quelle „des
Grauenhaften und Blutrünstigen“ in den Mythologien
2
.
Bergson äußerte ähnliche Gedanken. „Hält man sich vor Augen,
was die Religionen waren und was gewisse Religionen heute noch
sind, so ist das sehr demütigend für die menschliche Intelligenz.
Welch ein Gestrüpp von Verirrungen! ... man hat die Religion die
Unmoral vorschreiben und Verbrechen gebieten sehen... — Unser
Erstaunen wächst, wenn wir sehen, daß so lange Zeit hindurch der
niedrigste Aberglaube ein allgemeines Faktum gewesen ist. Er hat
sich ja übrigens bis heute erhalten .. .“
3
.
Aus allem liest man die Erkenntnis, daß die Religion als ein be-
stimmtes Verhalten des Menschen zu Gott zwar zu bejahen sei, daß
aber die Religionen (das heißt die konkreten Formen, in denen sich
Religion ausdrückt) zwangsläufig zu Widerspruch und Entsetzen
herausfordern.
Eine
„Religionsphilosophie
auf
geschichtlicher
Grundlage“ läßt erwarten, daß der Frage nach der Vielheit der Re-
ligionen im besonderen Rechnung getragen werde. Spann stellt zwar
Vergleiche unter den Religionen an und findet, daß die von ihm
herausgestellten religiösen Erscheinungsformen im Christentum ihre
erhabenste Verwirklichung und Bestätigung finden. So positiv das
gemeint sein mag, was den methodischen Wert dieser Aussage be-
trifft, müssen doch Bedenken angemeldet werden. Die Darstellung
erweckt zu sehr den Eindruck, daß Texte und Tatsachen gerade nur
zu dem Zweck herangezogen werden, die schon bestehende Meinung
des Verfassers zu unterbauen, nicht aber, diese erst zu erarbeiten.
Das grundsätzliche Verhältnis von Religion und Religionen erfährt
keine nähere Aufhellung
4
.
Im übrigen, wie schwierig diese Aufgabe ist, zeigen die einschlä-
gigen Neuerscheinungen der letzten Jahre, die zum Teil aus Anlaß
des Zweiten Vatikanischen Konzils, zum Teil als Folge des auf die-
1
Siehe oben S. 247.
2
Siehe oben S. 249.
3
A. a.
O.
,
S. 99.
4
Zu dieser Frage vgl. Wilhelm Keilbach: Die Problematik der Religionen,
Paderborn 1936; Die Religionen als philosophisches Problem, in: Wahrheit und
Verkündigung. Michael Schmaus zum 70. Geburtstag, hrsg. von Leo Scheffczyk,
Werner Dettloff, Richard Heinzmann, Paderborn 1967, S. 113—122. Konrad
Feiereis: Die Vielheit der Religionen. Zur religionsphilosophischen Diskussion in
der deutschen Aufklärung, in: Wesen und Weisen der Religion, hrsg. von Char-
lotte Hörgl, Kurt Krenn und Fritz Rauh, München 1969, S. 188—211.