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Demnach, die Seele begreift Gott nur, soferne sie von ihm begrif-
fen wird
1
. In vielen Wendungen gibt Meister Eckehart dem Aus-
druck:
„.. . dar umbe wirft er (Gott) sînen blic in die sêle durch daz, daz si eht
bekenne .. .‘‘
2
.
„Ez ist ze wizzenne, daz daz ein ist nâch den dingen: got bekennen unde
von gote bekant ze sînne. ... In dem bekennen wir got unde sehen, daz er uns
machet gesehende unde bekennende. Und als der luft. . . von dem liuhtet...,
daz er erliuhtet ist, und also bekennen wir, daz wir bekant sîn unde daz er
uns sich machet bekennende.“
3
In kühner Bildhaftigkeit sagt dasselbe auch ein von Hegel in sei-
nen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie angeführtes
Wort:
. . . , dâ inne ich got sihe, daz ist daz selbe ouge, dâ inne mich got siht;
mîn ouge unde gotes ouge daz ist ein ouge und e i n gesiht und e i n be-
kennen und ein minnen.“
4
In Wahrheit folgt dies alles aus der mystischen Einheit mit Gott!
Einen aufschlußreichen Vergleich von Lehrer und Jünger für
Eckeharts Lehre vom Erkennen durch Erkanntwerden enthält fol-
gende Äußerung in der gut erhaltenen, durch die Rechtfertigungs-
schrift als echt bezeugten Predigt. Pfeiffer:
„Got machet uns sich selber bekennende unde sin wesen ist sîn bekennen
und ez ist daz selbe, daz er mich machet bekennende unde daz ich bekenne, und
dar umbe ist sîn bekennen min: Als in dem m e i s t e r e i n i s t , d a z
e r l ê r e t , u n d i n d e m j u n g e r , d a z e r g e l ê r e t w i r t.“
5
Gott macht uns erkennen, indem er uns an seiner Selbsterkennt-
nis teilnehmen läßt.
1
Pf. 504, 26.
2
Pf. 504, 15: Daher wirft Gott seinen Blick in die Seele, daß sie etwas (von
ihm) erkenne.
3
Pf. 38, 11: Man muß wissen, daß Gott zu erkennen und von Gott erkannt
zu werden der Sache nach eins ist. . . Indem wir Gott erkennen und sehen, er-
kennen und sehen wir, daß er uns sehen und erkennen macht. Und ebenso, wie
die Luft leuchtet dadurch, daß sie erleuchtet ist, ebenso erkennen wir, daß wir
erkannt werden und daß er (Gott) uns sich erkennen macht.
4
Pf. 312, 8: (Das Auge,) in dem ich Gott sehe, ist dasselbe Auge, darin mich
Gott sieht; mein Auge und Gottes Auge, das ist ein Auge und ein Sehen und
ein Erkennen und ein Lieben.
5
Pf. 40, 12: Gott macht uns sich selbst erkennen, und sein Sein ist sein
(Selbst-)Erkennen. Und es ist dasselbe, daß er mich erkennen macht und daß ich
erkenne. Und darum ist sein Erkennen mein, so wie es ein und dasselbe ist: im
Meister, daß er lehrt, und im Jünger, daß er gelehrt wird.