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Die Natur kann nur auf Grund einer r e a l e n G e m e i n s c h a f t
oder E i n h e i t mit dem Menschen erkannt werden.
Während Schelling antwortete: Sie wird erkannt, weil sie selbst
Geist ist (wie auch der erkennende Mensch), antwortet Eckehart:
sie w i r d e r k a n n t , w e i l b e i d e , S e e l e u n d N a -
t u r , i n G o t t g r ü n d e n ; weil Gott „dem Steine ebenso
nahe ist wie dem Menschen“ („nur der Stein weiß es nicht“, er hat
kein Bewußtsein davon). Diese ü b e r s i n n l i c h b e g r ü n d e t e
G e m e i n s c h a f t u n d E i n h e i t ist es erst, wodurch nach
Eckehart die Grundvoraussetzung für die sinnliche Erkenntnis ge-
schaffen ist ebenso wie für die begriffliche, ideenhaft-gattungsmäßige
Erkenntnis. Wieder sehen wir, wie der Mystiker, wenn er die Be-
griffswerkzeuge seiner Zeit gebraucht, hier die aristotelisch-schola-
stischen, etwas anderes aus ihnen macht.
Eckehart taucht alle Erkenntnis in ein göttliches Licht und un-
t e r s c h e i d e t s i e n a c h d e r N ä h e z u G o t t .
Daraus versteht man wieder, inwieferne die höchste, gottnahe Er-
kenntnis, die mystische, die Voraussetzung für die jeweils niedere
Erkenntnis bildet; mindestens latenter- und begrifflicherweise (das
heißt die höchste Erkenntnis muß nicht verwirklicht werden, doch
ist der Geist darauf angelegt).
Darum führt Eckehart die Einsicht in das Wesen der Erkennt-
nis auf den höchsten Gipfel, indem er erklärt: die höchste Erkennt-
nis ist zugleich Seligkeit und die Wahrheit zugleich Freiheit:
„Seligkeit liegt daran, daß man Gott erkenne.“
1
„Der Intellekt, in dem die Wahrheit ist, ist frei.“
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Philipp Strauch: Paradisus anime intelligentis, in: Deutsche Texte des Mittel-
alters, Bd. XXX, Berlin 1919, S. 94, 25.
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B 160.