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Wir beginnen mit der Unsterblichkeit und lassen die Seelenkräfte
dann erst folgen.
I. Unsterblichkeit
In völliger Verkennung der Lehre Meister Eckeharts gingen die
von seinem angeblichen Pantheismus begeisterten Ausleger so weit,
ihm die Überzeugung von der Unsterblichkeit der Seele abzustrei-
ten. Denn dem Pantheismus geht ja die Seele nach dem Tode des
Leibes im All auf! Von solchen Ansichten ist aber Eckehart himmel-
weit entfernt. Er ist Mystiker und gläubiger Christ und kann daher
in beiden Eigenschaften die Unsterblichkeit nicht leugnen. Überdies
haben wir die klarsten Zeugnisse Eckehartens selbst! Außer der be-
reits oben angeführten über jene, „die in der Hölle sind“, hier nur
folgende Äußerungen:
Es gibt
„. .. gewisheit des êwigen lebens unde der sêlikeit, ... Dise gewisheit enpfêhet
man in deine hôhesten bekenntnisse gotes, in minne und in götlîcher einunge.
Die dise sêlige gewisheit von gote enpfangen hânt, die mügent wol sprechen ,ich
bin des gewis, daz mich noch tôt noch leben von gote gescheiden enmac'. Dise
sêlikeit enmac niemand verdienen. Aller crêatûren dienst ist zu kleine für einen
menschen, deme diz wirt in der wârheit. Diz engeschiht nieman dan den alleine,
die got êwiclîche dar zuo erwelt hât, die ir selbes und aller dinge ledic sint. Diz
beginnet hie unde wert êweclîchen.“
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Von der F r e u d e im ewigen Leben spricht Eckehart oft, z. B.:
„Wan swer eine lûter samwizzicheit hât, der ist des sicher, daz alliu diu pîne,
diu ime iemer angevallen mac, daz diu zemâle in eine vreude gewandelt sol
werden êweclîchen. Diu unsprechelîche vreude, der man êweclîchen gebrûchen
sol in deme êwigen lebenne, der hat der mensche einen v o r s m a c , unde ie
der mensche diss vorsmackes hie mêr gewinnet, ie er seliger sol sin in deme
ewigen lebenne . .. Daz al diu vreude wêre gesament ûf ein punt, die got an
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Pf. 381, 10: Gewißheit des ewigen Lebens und der Seligkeit: Diese Gewiß-
heit empfängt man in der höchsten Erkenntnis Gottes, in der Liebe und in der
Vereinigung mit Gott. Jene, die diese selige Gewißheit von Gott erlangt haben,
die können wohl sprechen: ,Ich weiß, daß mich weder Tod noch Leben von
Gott trennen können.“ Diese Seligkeit kann sich niemand verdienen, (denn) aller
Geschöpfe Dienst ist zu gering für einen Menschen, der tatsächlich dazu (zu
dieser Gewißheit) kommt. Es geschieht (vielmehr) nur denen, die Gott dazu er-
wählt hat, und die sich selbst und alle (irdischen) Dinge verlassen haben. Diese
(Seligkeit) beginnt (schon) hier und dauert in Ewigkeit.
(Die Echtheit dieser Schrift wurde völlig zu Unrecht angezweifelt.)