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185

„Die geistigen Kräfte altern nicht.“

1

„Der innere Mensch ist nicht in der Zeit oder in einem Orte, sondern in der

Ewigkeit.“

2

Es ist bekannt, daß F i c h t e in seiner Spätlehre — in der „Be-

stimmung des Menschen“ und der „Anweisung zum seligen Leben“

— dasselbe lehrte. Auch K a n t e n s „Intelligibles Ich“ ist so zu

verstehen.

Das Wesentliche der Lehre Eckeharts drückt, wie so oft, Angelus

Silesius in wenigen Worten aus:

„Die Kreatur ist mehr in Gotte denn in ihr;

Zerwird sie, bleibt sie doch in ihme für und für.“

3

II. Die Gliederung der Seelenkräfte

Eine Lehre von den Seelenkräften und ihrem Aufbau zu ent-

wickeln, lag nicht auf dem Wege Meister Eckeharts, wie bei einem

Mystiker seiner Höhe begreiflich ist. Daß er uns eine solche nicht

hinterließ, kann uns daher nicht wundern

4

.

Der grundsätzliche Aufbau der Seelenkräfte ist Eckehart damit

gegeben, daß das Fünklein als die W u r z e l allen besonderen

Kräften oder Vermögen zugrundeliegt (obwohl der Seelengrund

auch oft eine „Kraft“ genannt wird, wie aus den Ausführungen

ersichtlich).

Eckehart geht von der Gottförmigkeit der Seele aus. Sie äußert

sich in den Kräften darin, daß sie eine unbegrenzte Aufnahme-

fähigkeit haben. Während jedes Naturwesen nur eine oder doch nur

eine engst begrenzte Aufnahme- und Handlungsfähigkeit hat (wir

würden nach der heutigen Physik etwa Schwerkraft, Elektromagne-

tismus, Wärme bei den unorganischen Körpern nennen), ist die

Seele „gleichsam alle Dinge“; welch letzteren Satz daher Eckehart

von Aristoteles und Platon übernimmt. Diese Aufnahmefähigkeit

für alle Dinge, richtiger gesagt, dieses Enthaltensein aller Dinge

(latent) in der Seele sowie die daraus folgende unbegrenzte, die ge-

samte Ideenwelt in sich tragende Einbildungskraft (imaginatio) der

1

B 78.

2

B 79.

3

Vgl. auch die Belege aus der vorchristlichen Mystik über Unsterblichkeit in

meinem Buch: Religionsphilosophie auf geschichtlicher Grundlage, Wien 1947

[2. Aufl., Graz 1970.].

4

Vgl. Konrad Weiß: Die Seelenmetaphysik des Meisters Eckehart, in: Zeit-

schrift für Kirchengeschichte, Bd LII, Stuttgart 1934, S. 467 ff.