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Keynes und Spann hingewiesen: „Spanns Wirtschaftslehre stellte, lange vor
Keynes, ein weitangelegtes makroökonomisches System dar. Kein Zweifel, er
nahm Keynes vorweg.“
Trotzdem muß eine Gesamtbeurteilung von John Maynard Keynes zu
dem Ergebnis kommen: Er hat verfahrensmäßig keine entschiedene Stellung
bezogen, in seiner Lehre sind individualistische und ganzheitliche, einseitig
katallaktisch-quantitative und leistungsanalytisch-qualitative Gesichtspunkte
gemischt. Die Gefahren des Mischsystems zeigen sich dann bei seinen
Nachfahren stärker als bei Keynes selbst; bei ihnen allen — bei Leontief,
Harrod und Domar, der gesamten Ökonometrie — droht die Volkswirt-
schaftslehre immer wieder in ökonomische Technik abzugleiten. Mögen ihre
Verdienste
hinsichtlich
der
Verfeinerung
dieser
quantita-
tiv-mathematisch-statistischen Techniken groß sein, sie sind gegen
vereinseitigende Grenzüberschreitung und die Verkennung des vor-
rangmäßig-qualitativen Charakters der Wirtschaft nicht gefeit •— ganz
abgesehen von der bescheidenen Aussagekraft der verschiedenen Modelle
1
.
Aber seine Leistungen haben Keynes mit Recht den Ruhm eines
bahnbrechenden Nationalökonomen eingetragen
2
. Die Kraft seiner
Persönlichkeit, seine Lebensnähe, seine stete Ausgerichtetheit auf die
drängenden Fragen, die der Wirtschaftstheorie und -politik seiner Zeit gestellt
waren
3
, begründen dieses Ansehen, vor allem aber — so scheint es uns — die
Tatsache, daß er Entscheidendes zur Lösung jener Aufgabe beigetragen hat,
die unserer nationalökonomischen Wissenschaft durch ihre gesamte
Geschichte hindurch gestellt war und noch immer aufgegeben ist: die
Annäherung zwischen anschaulicher und rationaler Theorie
4
. Sie wird
unserer Meinung nach
1
Klaus Rose: Der Erkenntniswert der Wachstumsmodelle, in: JfNSt 168
(1956), S. 321—336. — Ähnlich, obwohl grundsätzlich marxistisch eingestellt:
Natalie Moszkowska: Wandlung der Methode und des Erkenntnisobjektes der
Nationalökonomie, in: Schmollers Jb 83 (1963/1), S. 269 bis 293. — Besonders
aber Edgar Salin: Politische Ökonomie, Geschichte der wirtschaftspolitischen
Ideen von Platon bis zur Gegenwart, fünfte erweiterte Auflage der Geschichte
der Volkswirtschaftslehre, Tübingen und Zürich 1967, S. 191—193.
2
Roy Forbes Harrod: The Life of John Maynard Keynes, London- New
York-Toronto 1951.
3
Das zeigte sich bereits in seiner ebenso richtigen wie mutigen Einstellung
und Haltung in der Frage der deutschen Reparationen. Vgl. auch: Das
Reparationsproblem,
Berlin
1930
=
Veröffentlichungen
der
Friedrich-List-Gesellschaft, Bd 1 und Bd 2.
1
Vgl. Edgar Salin: Politische Ökonomie, 5. Aufl., Tübingen und Zürich
1967, S. 162 f., 168, 172 und 180—193.