Bilde, Künstler, rede nicht.
Goethe
Jeder Stoff will seine eigene
Form, und die Kunst besteht
darin, die ihm passende zu finden.
Schiller
1
Über den Begriff der Gestalt herrscht eine unbeschreibliche Ver-
wirrung in Geschichte und Gegenwart. Um uns darin zurechtzu-
finden, senden wir unserer Untersuchung des Begriffes selbst einen
kurzen lehrgeschichtlichen Bescheid voraus.
I. Lehrgeschichtlicher Überblick des Begriffes der Gestalt
A. Die i d e a l i s t i s c h e L e h r e
P l a t o n unterscheidet in seinen gelegentlichen Bemerkungen
über das Schöne nicht ausdrücklich zwischen Gestalt und Gehalt,
Form und Inhalt. „Gestalt“
(μοσφή)
wird fast immer durch „
εϊδος
“,
das ist Bild, Idee, Gesicht (im objektiven wie subjektiven Sinne:
das Gesehene und das Sehen), Art, Gattung verdrängt; wie Otto
Apelt versichert
2
. Aber auch für Gestalt = Schema, das ist äußere
Figur, findet sich keine Begriffsbestimmung und keine Unterschei-
dung von
„εϊδος“.
Die Idee“, das
„εϊδος“,
die Gattung verwirk-
lichen sich nach Platon in der an sich bestimmungslosen Materie.
Dadurch entsteht das gattungsmäßig bestimmte Ding, dessen Beson-
derheiten als Einzelding aber nicht von der allgemeinen Idee kom-
men sollen, sondern nach Platon aus dem Widerstande, welchen die
Materie der Idee leistet.
1
Schillers Briefwechsel mit Körner (am 28. 7. 1800), Teil 4, Berlin 1876, S. 189.
2
Otto Apelt: Platon-Index, als Gesamtregister zu der Übersetzung in der
Philosophischen Bibliothek, 2. Aufl., Leipzig 1923, S. 50 (= Philosophische Biblio-
thek, Bd 182).