Table of Contents Table of Contents
Previous Page  8152 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 8152 / 9133 Next Page
Page Background

92

lich gebraucht, sondern stets gewisse Einschränkungen macht; wenn

er sich auch dem herkömmlichen Sprachgebrauche, welcher Form

und Inhalt einander schlechthin entgegensetzt, manchmal nähert.

S c h e l l i n g wandte dem Gestaltsbegriffe keine Sorgfalt zu.

H e g e l neigt dazu, Gestalt und Gehalt als Einheit zu fassen,

aber so sehr unter dem Vorrange der Gestalt, daß man seine Ästhe-

tik mit einigem Rechte eine „Gestaltsästhetik“ nannte; keinesfalls

kann sie als „Formalästhetik“ bezeichnet werden

1

.

Die Herbart und Zimmermann folgenden „Formalisten“ pflegen sich auf

S c h i l l e r zu berufen, welcher in der Schrift „Uber die ästhetische Erziehung

des Menschen“ (22. Brief, 1795) schreibt:

„... Darin also besteht das eigentliche Kunstgeheimnis des Meisters, daß er den

Stoff durch die Form vertilgt; und je imposanter, anmaßender, verführerischer der

Stoff an sich selbst ist, ... desto triumphierender ist die Kunst, welche... über

diesen die Herrschaft behauptet“

2

(durch die Form).

Aber diese und ähnliche Äußerungen Schillers werden erstens insofern miß-

verstanden, als Goethe und Schiller neben Gehalt und Gestalt (Form) als Drittes

oft den „Stoff“ unterschieden (welcher Begriff nicht immer eindeutig war; der

Gehalt scheint mehr den Wert, der Stoff den allgemeinen Inhalt bedeutet zu

haben); zweitens auch insofern, als Äußerungen wie die angeführten nicht mehr

als eine besondere Hochschätzung der Form (in gewissen Zusammenhängen)

bedeuten. Daß es nicht Schillers Meinung war, der Gehalt sei wirklich durch die

Gestalt zu tilgen, aufzuzehren, beweisen viele andere Äußerungen Schillers. Zum

Beispiel sagt er in der „Huldigung der Künste“ (1804):

Doch Schönres find ich nichts, wie lang ich wähle,

Als in der schönen Form die schöne Seele

3

.

Ferner schreibt er an Körner (28. 7. 1800): „Jeder Stoff will seine Form, und

die Kunst besteht darin, die ihm passendste zu finden“

4

.

Hier sind Gestalt und Gehalt nicht nur deutlich unterschieden, sondern es ist

1

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Sämtliche Werke, Bd 6, Berlin 1832 ff.,

S. 37: „Die Formen der Idee sind ihre Bestimmungen, und es wäre nicht zu sagen,

wo noch ein anderer wahrer Inhalt herkommen sollte, als diese ihre Bestimmungen

selbst.“ - Ferner (Bd 8, § 134): „...der Inhalt als die entwickelte Form...“ -

desgleichen Bd 10, S. 34; Bd 12, S. 24 und öfters. - Dieser Gedanke Hegels ist

auch durchaus richtig, nur wäre er unseres Erachtens dahin zu ergänzen, daß durch

die Verbindung des geistigen Gehaltes (samt ihren Bestimmungen) mit Mitteln

fremder Ebene, nämlich Zeit, Raum und Sinnlichkeit, z. B. in der Dichtung des

Gedankens mit Rhythmus (Zeit) und Ton (Sinnlichkeit) ein neues Element er-

scheint, welches mehr ist als die bloße Bestimmtheit des Gedankens.

2

Friedrich von Schiller: Sämtliche Werke in 15 Bänden, Mit Erläuterungen

von Karl Goedeke, Bd 14, Stuttgart 1885, S. 167.

3

Friedrich von Schiller: Sämtliche Werke, Bd 6, Stuttgart 1885, S. 143,

Vers 195 f.

4

Schillers Briefwechsel mit Körner, Teil 4, Berlin 1847, S. 189.