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zuletzt nicht unterschieden werden (sofern die Idee, das Wesen,
den Gehalt und zugleich die Gestalt, nämlich die „Erscheinung“,
bestimmt); andererseits, nämlich bei den Empiristen, die Gestalt
nur als äußerliche, räumliche Umrißzeichnung aufgefaßt wird, an
deren Wahrnehmung sich nachträglich die „Gefühle“ des Schönen
irgendwie knüpfen sollen.
Die erstere, tiefere Auffassung finden wir durch mangelhafte
Bestimmung der „Erscheinung“ in ihrer Besonderheit nicht so weit
zu Ende geführt, um das Verhältnis von Gestalt und Gehalt genau
zu erklären; die letztere, empiristische Auffassung erweist sich als
durchaus äußerlich. Das können wir uns am einfachsten etwa an
dem Beispiele eines Kruges verdeutlichen. Ein Krug (so schön er für
sich selbst sein mag) kann verschiedene Inhalte, z. B. Wein oder
Wasser, in sich aufnehmen, ist daher insofern als leere, „indiffe-
rente“ Form oder Gestalt aufgefaßt, als eine Gestalt, die vom Gehalt
grundsätzlich als trennbar erscheint; und damit bloß eine äußer-
liche Abgrenzung, als räumliches Gebilde für sich selbst wäre. Das
heißt, der Krug erschiene hier als Beispiel des „inhaltslosen For-
malen“, der „leeren, dem Inhalte gegenüber gleichgültigen“ Form.
In solcher Gleichgültigkeit, bloßen Äußerlichkeit der Gestalt
gegenüber dem Gehalte müssen wir die Hauptgefahr für ein tieferes
Verständnis des Gestaltbegriffes erkennen.
Was ist nun in Wahrheit die Gestalt?
Um das Geheimnis der Gestalt zu ergründen, dürfen wir nicht
von der leeren Äußerlichkeit, z. B. eines Kruges, ausgehen; denn
dies ist nur ein äußerster, ein abgeleiteter Fall von Gestalt! Wir
müssen vielmehr ergründen, was „äußere Erscheinung“ (im plato-
nisch-hegelischen Sinne) eigentlich sei?
Gehen wir dieser auf den Grund, so finden wir — um es gleich
vorwegzunehmen — als das Letzte aller äußeren „Erscheinung“,
das heißt aller, nämlich aller zeitlichen, räumlichen und sinnlichen
Gestalt; die g e i s t i g e Gestalt.
Was ist aber geistige Gestalt?
Beispiele für geistige Gestalten mögen uns zunächst Odysseus,
Siegfried, Hagen, Beatrice, Richard III., der Taugenichts und aus der
bildenden Kunst etwa der Zeus des Phidias — als „Vater und Kö-
nig“ der Götter und Menschen aufgefaßt, nicht als bloßes Raum-