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Ursächlichkeit und die ihnen entsprechenden apriorischen Formen

der Sinnlichkeit, nämlich Raum und Zeit, wurden vielfach als „leere

Formen“ aufgefaßt, welche die durch die Sinneseindrücke gegebenen

Inhalte aufnehmen. In diesem Falle stünden bei Kant allerdings

leere, neutrale Form und der sie erfüllende Inhalt einander schlecht-

hin gegenüber; und daraus wäre zum erstenmal die Möglichkeit

gegeben, das S c h ö n e a l s w e s e n t l i c h d u r c h d i e

F o r m b e s t i m m t zu betrachten! F i e r b a r t und nament-

lich sein Schüler Z i m m e r m a n n waren bekanntlich dieser

Meinung und begründeten eine reine „Formalästhetik“.

Indessen, bei K a n t stehen die Dinge in Wahrheit nicht so. Die

Denkkategorien und Sinnlichkeitsformen waren ihm keine leeren

Formen, sondern „synthetische Funktionen“ im Gange der Erkennt-

nis; eine Lehre, welche allerdings erst F i c h t e folgerichtig als

„Spontaneität“ oder „Selbstsetzung“ des menschlichen Geistes zu

Ende führte. In dieser „Selbstsetzung“ werden nach Fichte zugleich

auch die Kategorien selbst geschaffen, so daß mit der Form (der

Kategorie) auch der Inhalt erzeugt wird. Ähnlich sahen wir ja auch

bei Platon und Aristoteles, daß nach ihnen mit der Form auch der

Inhalt erzeugt wird.

Bei K a n t blieben diese Fragen jedoch in einem Zwielichte,

besonders da bei ihm auch der Begriff des Inhaltes (der „Materie“)

der Sinnesempfindung unklar war. Ähnlich bei Fichte. Bei Kant

hing das mit seiner Lehre von der Unerkennbarkeit, „Phänomenali-

tät“, des Dinges an sich zusammen. Zum Beispiel sagt Kant in der

Kritik der reinen Vernunft: Empfindung kann man „die Materie

der sinnlichen Erkenntnis nennen“

1

; „die Materie... oder der

Gehalt, welcher ein Etwas bedeutet, d a s . . . der Empfindung korre-

spondiert“. — Was aber mit der Empfindung nur „korrespondiert“,

ist mit ihr nicht einerlei. (Form und Materie also nicht einerlei.)

Darum nennt Kant die „Materie“ der Empfindung, das ist der Emp-

findungsinhalt, „eine gewisse Vorstellungsart eines unbekannten

Gegenstandes“

2

. Der Empfindungsinhalt ist also hier nicht in die

„Form“ aufgelöst.

Es ist bemerkenswert, daß Kant den Begriff einer leeren Form

auch in der späteren Schrift „Kritik der Urteilskraft“ nicht eigent-

1

Immanuel Kant: Werke, Bd IV, Berlin 1903, S. 47.

2

Immanuel Kant: Werke, Bd IV, Berlin 1903, S. 241.