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auch dem Gehalte der Vorrang vor der Gestalt (Form) eingeräumt; wie auch bei

G o e t h e .

F r i e d r i c h T h e o d o r V i s c h e r sagt: „Die Form ist Anordnung des

Stoffes zur Einheit in der Vielheit.“ Was ist a b e r d i e s e E i n h e i t ?

Vischer fügt hinzu: (Vielheit) „also Harmonie“

1

. Aber die „Einheit“ der Har-

monie wäre ja erst gerade zu erklären! - Viele E m p i r i s t e n erklären eben-

falls Schönheit und Gestalt als „Einheit“ in der „Vielheit“!

B. Der e m p i r i s t i s c h e G e s t a l t b e g r i f f

Der philosophische Empirismus ist wie immer so auch im Form-

begriffe die Auffassung des auf der Oberfläche Liegenden. Der empi-

ristische Formbegriff geht von der sinnlichen, vornehmlich räum-

lichen Erscheinung der Gestalt oder Form aus, er ist sensualistisch.

Ihm kann daher, das ist wesentlich, die Gestalt grundsätzlich nur

eine n a c h t r ä g l i c h e

V e r e i n i g u n g vieler Wahrneh-

mungen sein. Die Wahrnehmung einer Raumgestalt, z. B. eines

Kruges, wird nach ihm erst durch eine (nachträgliche) „apperzep-

tive Vereinheitlichung“ einzelner sensueller Eindrücke zur Gestalt.

So: Alexander Bain, Theodor Lipps, Wilhelm Wundt, Ernst Mach,

Hermann Friedmann (welchem der Typus der Form ein „optisches

Gebilde“ ist) und viele andere.

Auch C h r i s t i a n v o n E h r e n f e l s u n d A l e x i u s M e i n o n g , die

Begründer der sogenannten Lehre von der „Gestaltqualität“, bleiben im Empiris-

mus stecken. Zwar erklärt von Ehrenfels richtig, daß eine Melodie mehr sei als

die Summe ihrer Teile. Aber wie wird von ihnen dieses „Mehr“ erklärt? Das ist

die entscheidende Frage! - durch nachträgliche „Synthese“ der einzelnen wahr-

genommenen Töne! Diese Synthese ist ihnen nichts anderes als die nachträgliche

Herstellung von „ R e l a t i o n e n “ , „Beziehungen“ zwischen den einzelnen Tö-

nen. Grundsätzlich kommen sie also über die Empiristen vor ihnen keineswegs

hinaus! Die „Gestaltqualität“ entpuppt sich zuletzt als nichts anderes denn die

Eigenschaft der Teile, Bezogenheiten, Relationen aufzuweisen! Auch Meinongs

„ A u f m e r k s a m k e i t s v e r t e i l u n g e n “ , die sich der Summe der Sinnes-

empfindungen als „Sekundärfunktionen“ überbauen (wodurch die Einheit der

Gestalt gewonnen werden soll), sind nichts anderes. Ein echter Ganzheitsbegriff

und Gestaltbegriff wird auf diese Weise nicht begründet. Am weitesten kam hier

vielleicht K u r t K o f f k a , welcher den Begriff der „Gestaltdisposition“ der

Empfindungen aufstellte. „Ehe die Reize wirken, ist aber keine Gestalt vorhanden,

wohl aber, so müssen wir schließen, eine G e s t a l t d i s p o s i t i o n

2

. . . “

1

Friedrich Theodor Vischer: Das Schöne und die Kunst, aus dem Nachlasse

hrsg., Stuttgart 1838, § 4, S. 48 und 51 f., § 5, S. 61 f.

2

Kurt Koffka: Psychologie, in: Max Dessoir: Lehrbuch der Philosophie, Bd 2:

Die Philosophie in ihren Einzelgebieten, Berlin 1925, S. 537.