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aus in der neuzeitlichen Kunst, nicht ausdrücklich als solches hervor-
tritt.
Handfeste Schicksalsdramen wie z. B. Grillparzers „Ahnfrau“ sind damit aller-
dings nicht gemeint. Andererseits muß man aber feststellen, daß gerade der
wüsteste „Psychologismus“ wieder auf die Erscheinung des Schicksals stößt, wel-
ches (angeblich) in die seelischen Grundbeschaffenheiten des einzelnen Menschen
allein gelegt wird.
VIII.
Rückblick auf das Verhältnis von Phantasie und
Eingebung
Da die Phantasie auch die Gestalten des Kunstwerkes umfaßt, ist
jetzt erst der Ort, ihr Verhältnis zur Eingebung zu betrachten.
Von verschiedenen Seiten, unter den Älteren auch von Immanuel
Hermann Fichte und Weiße, wurde die Phantasie oder Einbildungs-
kraft als die Grundlage des Schönen und der Kunst überhaupt
betrachtet.
Was ist nun aber Phantasie? Unter den verschiedenen Versuchen,
ihr Wesen zu bestimmen, scheint uns jener E d u a r d Z e l l e r s
auch für heute noch besonders klar:
„Unter dem Namen der Phantasie oder der Einbildungskraft pflegt man alle
die Vorstellungstätigkeiten zusammenzufassen, welche sich weder der Wahrneh-
mung noch dem Denken zuordnen lassen... Als Denktätigkeiten lassen sie sich
nicht betrachten, weil sie nicht, wie diese, das Wirkliche in seinem objektiven
Wesen und Zusammenhang zu verstehen suchen, sondern sich mit der Vergegen-
wärtigung seiner Erscheinung, so wie sich diese dem anschauenden Subjekt dar-
stellt, begnügen, weil sie sich nicht in Begriffen bewegen, sondern in Bildern, in
Vorstellungen
1
...“
Selbstverständlich ist dabei vorausgesetzt, daß sich diese Bilder
und Vorstellungen des „anschauenden Subjektes“ zuletzt aus der
Wahrnehmungstätigkeit ableiten, ganz gemäß dem empiristischen
Grundsatze „nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu“ (nichts
ist im Verstande, was nicht in den Sinnen war). Daher fügt Zeller
später hinzu:
„Alle unsere Vorstellungstätigkeiten haben ihren Stoff in letzter Beziehung der
Erfahrung, der inneren und äußeren Wahrnehmung zu verdanken“
2
.
1
Eduard Zellers Kleine Schriften, herausgegeben von Otto Leuze, Bd 2,
Berlin 1910, S. 589.
2
Eduard Zellers Kleine Schriften, . . . , S. 591.