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allgemeine G e s e t z d e r E i n g e b u n g s t r e u e d e r G e -
s t a l t u n g :
Bleibt die Gestaltung sowie die damit eng zusammenhängende
Entsprechung der Gestalten untereinander hinter der Eingebung
zurück, so ist das Schöne dürftig; überschreitet sie die wesensgemä-
ßen Ausmaße, so ist sie überschwenglich. Die Überschwenglichkeit
schadet der künstlerischen Wahrheit mehr als die Dürftigkeit.
Die Griechen kannten dieses Gesetz unter dem Namen des „rechten Maßes“.
In anderer Form heißt das:
(4a): V o r r a n g d e s G e h a l t e s v o r d e r G e s t a l t .
2.
Gesetze der Entfaltung der Gestalten in der Zeit
oder ihrer Umgliederung
(5)
Als erstes Gesetz der Umgliederung ergibt sich die Übertra-
gung des Gesetzes der Eingebungstreue der Gestalt auf den Fort-
schreitungsgang des Dramas (und sinngemäß aller Kunstgattungen
in der Zeit). Es nimmt dann einfach die Form eines G e s e t z e s
d e s t r e u e n F e s t h a l t e n s d e r E i n g e b u n g i m
L a u f e d e r U m g l i e d e r u n g an:
Durch treues Festhalten der Eingebung im Fortschreitungsgange
der Umgliederung der Gestalten entsteht E i n h e i t , F o l g e -
r i c h t i g k e i t
u n d
r i c h t i g e
M o t i v i e r u n g
d e r
U m g e s t a l t u n g (damit auch des dramatischen Geschehens
überhaupt); worin ferner auch die sachgemäße S p a n n u n g
u n d S t e i g e r u n g ebenso wie die A n t e i l n a h m e d e s
H ö r e r s gesichert ist.
(5a) Man könnte dies auch das G e s e t z d e r L e b e n d i g -
k e i t d e s S c h ö n e n d u r c h F e s t h a l t e n d e r E i n -
g e b u n g w ä h r e n d d e r U m g l i e d e r u n g d e r G e -
s t a l t e n nennen.
Das Gesetz des treuen Festhaltens der Eingebung in der Umgliederung tritt,
so ersieht man, an die Stelle des bisherigen „Gesetzes der drei Einheiten“, näm-
lich des Ortes, der Zeit und der Handlung; oder was diesem auf Aristoteles
zurückgehenden Gesetze in verschiedenen Versuchen anderer Fassungen ent-
sprechen sollte.
Für uns bleibt daraus nur das G e s e t z d e r E i n h e i t d e r H a n d -
l u n g übrig. Diese Einheit kann aber einzig durch Festhalten der Eingebung
während des Fortschreitungsganges der Umbildung der Gestalten gesichert werden.