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gebungen, ohne der Ausarbeitung im einzelnen besondere Sorgfalt
zu widmen — man denke nur an Faraday, der erst seinen Maxwell
finden mußte, an Mach, dessen Kontinuitätsgedanke erst durch Jau-
mann eine Ausarbeitung fand; so auch in der Kunst. Es gibt Künst-
ler, deren Schaffen sich mehr auf die Grundeingebung sammelt und
solche, die auch in der Einzelausarbeitung nicht nachlassen. Für die
ersteren scheint mir Lope de Vega ein Beispiel, dem sich alles, was
er anfaßte, in dramatisches Gold verwandelte, indem seine Einge-
bung alles auf seinen dramatischen Grund zurückführte; der aber in
der Ausarbeitung nachließ (woraus sich ja auch die übergroße Zahl
seiner Stücke erklärt und darunter wieder die große Zahl kleinerer).
Beispiele für solche Künstler, bei denen Eingebung und Ausarbei-
tung die gleiche, unermüdliche Sorgfalt fanden, bieten Homer,
Dante, Leonardo, Schiller, Mozart, Beethoven, um nur diese zu nen-
nen; während Michelangelo, Grünewald, Goethe (besonders im
„Faust“) mehr die Mitte zu halten scheinen.
Eine eigene „künstlerische Phantasie“ gibt es demnach im Glie-
derbau der seelischen Fähigkeiten nicht. Sie hätte, für sich genom-
men, keine Voraussetzungen. Das menschliche Geistesleben ist über-
all schöpferisch, nicht nur auf dem Gebiete des Gestaltens. Ein soge-
nannter „phantasievoller Künstler“ ist demnach ein eingebungsvol-
ler Mensch; zur künstlerischen Größe gehört allerdings noch Tiefe
der Eingebung und ihre Eingliederung in ein großes Geistesleben!
Durch die Gründung der Einbildungskraft auf die Eingebung ist
auch das Willkürliche und im engeren Sinne „Phantastische“ ent-
larvt und seine falsche Stellung im Kunstwerke erkannt.
Wir können die Eingebung als den größten und heiligsten Besitz
des menschlichen Geistes nicht genug preisen!
Die Eingebung erwies sich uns als eine unmittelbare Teilnahme,
als ein Mit-Dabeisein unseres Geistes am intelligiblen Grunde der
Dinge und des Geistes. Und aus dieser Teilnahme schöpfen das Wis-
sen wie die Kunst, die beiden Himmelsgaben des Menschen nebst
der Religion und Metaphysik.
Darum sind Wissenschaft und Kunst nichts Geringeres als eine
z w e i t e S c h ö p f u n g , welche der Mensch neben die Gottes
stellt, indem er sie in seinem Geiste wiederholt — aus den Ideen,
den Urgedanken Gottes.