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Der Sammler:

Auf ihm leuchten zwei Sterne: Vernunft und Gezweiung.

Gehen wir von der Selbstbestimmung aus. Sie ist so wichtig, daß

ich dich bitte, nochmals einen Augenblick dabei zu verweilen. Liegt

in jeder Selbstbestimmung Freiheit, so heißt das nichts weniger als:

daß die geistigen Erscheinungen dem stofflichen Naturzusammen-

hange entrissen seien, anders gesagt — Vernunft enthalten.

Du scheinst über diese Folgerung abermals zu erschrecken, ob-

wohl sie nicht neu ist; aber erkenne ihre Unabweislichkeit! Während

im stofflichen Zusammenhange, wie wir fanden, stets eine Abhängig-

keit von anderen Dingen liegt, ist das sinnvoll Zusammenhängende

oder (was das gleiche ist) in sich selbst Bestimmte nicht mehr Ein-

flüssen von Dingen außer ihm unterworfen (nur daß es äußerer

Vor-Bedingungen bedarf): vielmehr ist es der Vernunf tzu-

s ammenhang, wie er im logischen Denken zur Erscheinung kommt,

was hier auftritt. Vernünftigkeit ist eben sinnvolle Bestimmtheit und

nichts anderes. Und Vernunftzusammenhang ist nicht durch Natur,

z. B. Temperatur, bestimmt — in diesem Sinne also der Natur ent-

rissen.

Aber nicht nur das logische Denken ist es, das den Geist der

Natur entreißt. Der Geist ist nicht ausschließlich Denken (daher

auch nicht rein rationalistisch zu fassen). Die Liebe führt uns noch

eine Stufe tiefer in das Geheimnis des menschlichen Geistes hinab.

Es ist die fundamentale Tatsache, auf die wir hier stoßen, daß

nicht ein Geist allein zur Selbstvergegenständlichung und Selbst-

bestimmung gelangt, sondern hierzu stets eines anderen Geistes

bedarf — der Geme ins chaf t oder Gezwe iung .

Geist wird nur an Geist. Er besteht stets als Glied einer Gemein-

schaft. Daher muß er auch den Stempel dieser Gliedhaftigkeit an

sich tragen, die Li ebe. Liebe beruht auf dem Gliedsein der Persön-

lichkeit im Überpersönlichen der Gemeinschaft oder „Gezweiung”.

Die Gezweiung ist ein Werden des einen an dem andern. Mutter

und Kind, Freund und Gefreundeter, Lehrer und Schüler werden

geistig aneinander. In der Gezweiung, als der schaffenden Gegen-

seitigkeit zweier Menschen, berührt der Geist den Geist auf dem

Wege des gemeinsamen Enthaltenseins in einem Ganzen, eben der

überpersönlichen Gemeinschaft.

In der Gezweiung überfliegt der Geist abermals die Natur; er

lebt als Glied der Geisterwelt und weiß sich als solches.

Vernunftz

u-

sammenhang

Gemeinschaft

oder Gezwei-

ung : Liebe