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der Gesellschaftserklärung dennoch Individualist zu sein. Aber dann

müssen andere und stärkere Prämissen da sein als der gesellschaftliche

Individualismus.

III. Utilitarische Sittlichkeitsauffassung

Schon früher sahen wir

1

, daß die Einzelheitslehre das Verhältnis des

einen Menschen zum andern (und damit zur ganzen Gesellschaft) nur im

Umkreise der äußeren, nützlichen Hilfeleistung sieht, nicht im /

Geistigen, das dem Einzelnen selbst anheimgestellt bleibt. Das Verhältnis

zwischen den Menschen ist daher ein rein nothaftes, nützliches oder

utilitarisches. „Utilitarisch“ aber heißt: Was mir äußere Hilfe bietet,

nützlich, zweckmäßig ist; wie es auch der Begriff des

Gesellschaftsvertrages bezeugt, der dem Staate nur äußere Aufgaben der

Sicherheit und Ordnung zuweist.

Hieraus folgt, daß der Einzelne im Hinblick auf die Gesellschaft sagen

muß: Gut ist, was mir nützt, oder in verfeinerter Form: Gut kann auch das

sein, was mir zwar augenblicklich schadet, aber — weil ein Umweg über

die Gesellschaft zu mir selbst — mir schließlich dennoch nützlich ist. Der

„Erzeugungsumweg“ solcher Nützlichkeit aber ist die Forderung der

Vertragstreue. Ihre Erfüllung kann dem Einzelnen schaden, z. B. wenn er

bei guter Gelegenheit nicht stehlen soll, aber im Ganzen nützt sie ihm, da

ohne sie die Gesellschaft überhaupt aufgelöst und der unbequeme

Naturzustand der Furcht aller vor allen wieder eintreten würde.

Die Erklärung der Gesellschaft aus dem Einzelnen führt sohin

unbedingt zur utilitarischen Sittenlehre — das Gegenstück zu unserem

schon früher erlangten Ergebnis, daß sie keine soziale, nur individuale

Sittlichkeit zu begründen vermöge.

Auch hier gilt wieder, daß aus a n d e r e n Gedankenkreisen her

Beweisgründe genommen werden können, welche diese Folgerung

durchkreuzen und sogar aufheben. Wie Kant die relativistische

Sittenlehre überwunden hat, so auch die utilitarische. Und wie Kant dies

von erkenntnistheoretischen Gedanken her leistete, so war es auch

möglich, vom metaphysischen und vom religiösen Kreise her

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Siehe oben S. 100.