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societas, Gesellschaft, abgeleitet), nämlich ,,G e s e l l s c h a f t l i c h - k e
i t“ die richtigere Bezeichnung; da diese aber schon für eine bestimmte
Sondertheorie festgelegt ist, ist sie unbrauchbar. Eine ähnliche
Schwierigkeit bietet die Bezeichnung K o l l e k t i v i s m u s , die bereits
auf die Bedeutung K o m m u n i s m u s festgelegt ist. Nicht treffend
genug ist das Wort „ S o l i d a r i s m u s“, weil es nur auf ein Element, die
Vertragstreue, geht, übrigens gleichfalls schon in einem bestimmten
Sinne, als eine Art G e n o s s e n s c h a f t s w e s e n aufgefaßt wird, das
sogar zum Teil individualistisch begründet wird
1
. Die Bezeichnung
„ o r g a n i s c h e S t a a t s u n d G e s e l l s c h a f t s t h e o r i e“,
ferner auch „O r g a n i - z i s m u s “ genannt, geht mehr auf einen nach
bestimmtem Verfahren, dem biologischen, erstrebten, aber nicht
durchgeführten Universalismus. Endlich wird noch der Name
„ Ü b e r i n d i v i - d u a l i s m u s " gebraucht, welcher aber in seinem
Begriff nur negativ ist, indem er bloß sagt, daß über das Individuum
hinausgegangen
wird.
Nichts
anderes
sagen
„Ü
b e r p e r s o n a l i s m u s “ u n d „ T r a n s p e r s o n a l i s m u s “ .
„ N o m i n a l i s m u s “ (= das Allgemeine, die Idee ist nur ein Name)
und „R e a l i s m u s “ im Sinne des scholastischen Universalienstreites (=
das Allgemeine, die Idee ist real) einander wie „Individualismus“ und
„Universalismus“ gegenüberzustellen ist nur im übertragenen Sinne
erlaubt. Denn nicht um die o n t o l o g i s c h e u n d l o g i s c h e Frage
des Allgemeinbegriffes (der Idee) handelt es sich hier, sondern um eine
Zergliederung g e s e l l s c h a f t l i c h e r Erfahrungstatsachen.
Unter allen Bezeichnungen wählen wir den Ausdruck
„Universalismus“, der überdies in der Sittenlehre und Philosophie in
gleichem Sinne bisher schon üblich war. Freilich darf nicht verschwiegen
werden, daß in der Philosophie der Ausdruck Universalismus auf das
Weltganze (Universum) geht, daher auch einen metaphysischen, nicht
nur gesellschaftsethischen Sinn hat. In jenem m e t a p h y s i s c h e n
Sinn versteht man dann manchmal unter Universalismus nur jene
Ansicht, w e l c h e , i n d e m i h r a l l e s W i r k l i c h e b l o ß e r
S c h e i n / i s t , d a s I n d i v i d u e l l e
1
Siehe Charles Gide und Charles Rist: Geschichte der volkswirtschaftlichen
Lehrmeinungen, deutsch von R. W. Horn, Jena 1913, S. 667 ff. Heinrich Pesch: Lehrbuch der
Nationalökonomie, Freiburg i. B. 1905, S. 351 ff.