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Z w e i t e r A b s c h n i t t

Das Wesen der universalistischen Gesellschaftsauffassung

„Brand brennt vom Brande,

Bis entbrannt er ist,

Feuer vom Feuer lebt:

Durch Mannes Rede Wird ratklug

der Mann,

Durch Abschließung unklug.“

1

Wer den Individualismus überwinden und das wahre Wesen der

Gesellschaft erkennen will, der muß den Begriff des absoluten Einzelnen

in jeder, wenn auch noch so versteckten Form in sich vertilgen. Hierzu

genügt die bloß logische Kritik nicht; eine innerlich aufleuchtende

Erkenntnis, ein Erlebnis dessen, was der Mensch als ein dem andern geistig

Zugehöriger ist, ist nötig, um den Universalismus auf festem Boden zu

begründen.

/

Dieses Erlebnis ist niemandem fremd. Jeder Mensch hat in seinem

Leben einen Wendepunkt geistigen Lebens überschritten, jeder kennt

einen Augenblick reicher innerer Erfahrung, in dem er einen großen

Schritt nach vorwärts getan hat. In solchen Stunden nimmt das geistige

Leben des Menschen einen gewaltig schnelleren Lauf: was vorher nur

Möglichkeit und Ahnung in ihm war, wird zur Wirklichkeit, die Blüten

brechen plötzlich auf, und dem Menschen ist, als hätte er vorher ohne

Seele gelebt.

Solche Stunden inneren Werdens offenbaren uns jene wahre Natur des

Menschen, die wir, auf eine kurze Formel gebracht, bezeichnen als: lumen

de lumine, Licht vom Lichte, angezündet vom Geiste des Andern und sich

von ihm ernährend. Nicht ruhendes Sein ist das Wesen des menschlichen

Geistes („Ruhe“ ist schon die erste falsche Voraussetzung von „in sich

Beruhen“!), sondern eine unaufhörliche Neuschöpfung, ein stetes

Angefacht- und Erwecktwerden d u r c h d e n G e i s t d e s

A n d e r n .

1

Edda, Bd 2: Götterdichtung und Spruchdichtung, ins Deutsche übertragen von Felix

Genzmer, Jena 1922, Kapitel 17: Das alte Sittengedicht, Vers 37, S. 126.

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