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Erwecktwerden und Erwecken bilden das Wesen der geistigen
Gemeinschaft oder, wie wir sie auch nennen wollen, der Gez w e i u n g .
Es gilt nun, jenen Vorgang an den vorbildlichen Grundverhältnissen
des Lebens zu erklären und die Eigenschaften zu erforschen, die ihm als
gesellschaftlicher Grundtatsache anhaften.
I. Die universalistische Grundtatsache
an den vorbildlichen Grundverhältnissen des Lebens erläutert
Der Individualismus verneint jene Grundtatsache des Verhältnisses
von Geist zu Geist, die Gezweiung, von welcher die universalistische
Zergliederung gerade ausgeht. Nach der individualistischen Vorstellung
spielt sich das geistige Leben im wesentlich einsamen und geheimen
Innern der menschlichen Brust ab. Der Mensch findet zum andern nur im
Bereiche des äußeren Handelns, des Nothaften, eine Anknüpfung; geistig
ist und bleibt er im Grunde selbstwüchsig und allein.
Dem Universalismus ist gerade und einzig der geistige Zusammenhang
der Einzelnen der Quellpunkt alles geistigen Lebens. Die äußere
Hilfeerteilung der Menschen ist ihm dagegen nur eine abgeleitete und
eben äußerliche Erscheinungsform des Lebens, daher auch der
Gesellschaft. Das wahre Wesen der Gesellschaft liegt ihm in der geistigen
Kräfteschöpfung, die im Miteinander, in der geistigen Gegenseitigkeit der
Menschen gegeben ist. Das Geistige jedes Men- / schen, der Kern und das
Wesenhafte seiner Individualität, besteht nur in und durch Gezweiung.
Überall, wohin man im wirklichen Leben blickt, ist die Grundtatsache der
Gezweiung zu erkennen.
A. F r e u n d s c h a f t
Alle typischen Verbundenheiten der Menschen lassen sich zuletzt auf
eine allgemeinste Grundform zurückführen, die Freundschaft, weil sie ein
notwendiger Bestandteil aller Beziehungen der Menschen ist. Handle es
sich nun um Lehrer und Schüler, um Künstler und Kunstgenießenden, um
Künstler oder Forscher und Kritiker,